Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschafts-, Hochschul- und Technologiepolitik von Bündnis 90/Die Grünen vom 18.02.2005
I. Einleitung
Die Einführung der gestuften Studienstruktur mit Bachelor- und Masterstudiengängen wird an deutschen Hochschulen mit Hochdruck betrieben, oftmals auch parallel zu den bestehenden Studiengängen. Ein vollständiger Ersatz der bisherigen Studienstruktur durch eine zweistufige Studienstruktur mit den Abschlüssen Bachelor und Master ist erklärtes politisches Ziel seit vielen Jahren (Bologna-Erklärung 1999). In mehreren Bundesländern ist auf der Basis von gesetzlichen oder vertraglichen Regelungen die vollständige Umstellung innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre geplant. Derzeit (im Wintersemester 2005/06) sind von den rund 11.000 Studienangeboten etwa 3.800 Bachelor- oder Masterangebote, mit stark steigender Tendenz. Es studieren jedoch mit 155.000 erst rund 8% aller Studierenden in den neuen Studiengängen.
Die BAG WHT begrüßt, dass durch die Internationalisierung der Bildungssysteme die Mobilität von Lehrenden, Lernenden und Forschenden erleichtert, die Transparenz bei der Anerkennung von Berufsqualifikationen und Studienleistungen erhöht und der Zugang zu Bildung und Weiterbildung weiter geöffnet werden soll. Wir begrüßen den „Bologna-Prozess“ als Gestaltungsrahmen zur Erreichung dieser Ziele. Aus unserer Sicht sind aber einige Anforderungen insbesondere an die Umsetzung im deutschen Hochschulsystem zu formulieren, von denen ganz wesentlich abhängt, ob die Reform die gewünschten Ziele erreicht. Denn möglichen Vorteilen der zweistufigen Struktur stehen auch mögliche Nachteile gegenüber:
Vorteile |
Nachteile |
Erhöhte Mobilitätschancen |
Behinderung der Mobilität durch inflexible Studienpläne, erschwerte Einzelfallanerkennung von Studienleistungen |
Schnelleres Studium, früherer Einstieg in das Berufsleben |
Verzicht auf Vermittlung wissenschaftlicher Arbeitsweisen insb. im Bachelorstudium; Abkopplung der Lehrinhalte von aktuellen Forschungsfragestellungen; Bachelor als Regelabschluss, dadurch Dequalifizierung der Masse der Studierenden |
Bessere Betreuung der Studierenden |
Verschulung |
Individuellere Qualifikation |
„Aussieben“ von Studierenden zwischen Bachelor und Master; Schwieriger Einstieg in Masterstudiengänge nach Berufsphase |
Mehr Praxisbezug |
Praxisanteile schwieriger in die neue Studienstruktur integrierbar |
Fachübergreifende Kurse |
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Vermittlung von soft skills |
|
Verbesserte internationale Vergleichbarkeit |
International nicht vergleichbare Angebote, teilweise deutsche Sonderwege |
Der derzeitige Stand der Einführung ist in seinen Auswirkungen recht unübersichtlich:
• Es gibt erst wenige Jahrgänge von BachelorabsolventInnen und eine große Vielfalt von Masterstudiengängen, insbesondere dadurch, dass es sowohl Masterstudiengänge gibt, die fachlich oder zumindest studienstrukturell eindeutig konsekutiv sind, als auch solche, die eindeutig Weiterbildungsangebote sind, als auch eine große Zahl von Mischformen.
Dementsprechend gibt es auch erst wenige empirische Studien über Bachelor- und Masterstudiengänge, deren Studierende und AbsolventInnen (vgl. HIS 2005).
• Die gestufte Studienstruktur ist bisher vor allem in den Fachrichtungen Wirtschaftswissenschaften, Informatik, Sozial- und Geisteswissenschaften, Ingenieurwissenschaften (hier vor allem an FHen) schon besonders weit vorangeschritten. Im Bereich der Masterphase sind vor allem neue Studienangebote entstanden, die oft im einstufigen System Schwerpunkt- oder Vertiefungsbereiche des Diplomstudiums darstellten.
Die hochschulpolitische Entwicklung auf Länderebene, die Positionen von HRK, KMK und Verbänden und die konkrete Umsetzung und Ausgestaltung der zweistufigen Studienstruktur an den Hochschulen lassen aber einige kritische Entwicklungen deutlich erkennen, auf die zu reagieren ist. Denn die Umstellung der Studienstrukturen ist nicht nur eine formale Veränderung, sondern bringt grundsätzliche Veränderungen sowohl des Studiums als auch der Institution Hochschule mit sich.
II. Studienreform durch Bachelor/ Master?
Die Fakultätentage, die die Umstellung seit der Bolognaerklärung 1999 kritisch begleiten, aber auch Verbände und Kammern weisen darauf hin, dass sich nicht jeder Studiengang an jeder Hochschule gleich gut umstellen lässt. So wird in großen Teilen der Natur- und Ingenieurwissenschaften der Bachelor lediglich als erweiterte Zwischenprüfung angesehen. Auch in den durch staatliche Prüfungsordnungen dominierten Bereichen Medizin und Lehramt wird ohne den Master vorerst kein Berufszugang erfolgen.
In vielen dieser Fälle erscheint die Behauptung der Nicht-Umstellbarkeit zu stark an der herkömmlichen Ordnung der Studieninhalte orientiert. Unter diesen Bedingungen sind dreijährige Physik-, Philologie- oder Architekturstudiengänge tatsächlich nicht denkbar. Diese Vorstellung greift jedoch zu kurz: Die Herausforderung liegt darin, im Rahmen der Umstellung nicht nur Seminare und Vorlesungen neu zu sortieren und ggfs. zu sogenannten Modulen zusammenzufassen, sondern stattdessen Studienziele, Studieninhalte und wissenschaftlich-methodische Fragen neu zu bestimmen und auf die zweistufige Struktur abzustimmen. Module müssen als Chance gesehen werden, alte Lehrinhalte und –strukturen aufzubrechen und innovative fachliche Kombinationen zu entwickeln.
Im Vergleich zur herkömmlichen Studienstruktur mit einer Stufe hat die Einführung eines Abschlusses nach drei Jahren Mindeststudienzeit nur dann Sinn, wenn sich diese drei Jahre vom bisherigen Grundstudium unterscheiden: Warum nicht per Bachelorstudium die Ingenieurwissenschaftlerin ausbilden, die die Brücke zwischen Maschinenbau, Elektrotechnik und Informatik schlägt? Warum nicht den Humanwissenschaftler ausbilden, der Methoden und Theorien aus der Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaft zusammenbringt? Möglicherweise entwickeln sich für solche BachelorabsolventInnen sogar neue attraktive Berufsbilder, die sich viele Fakultätentags- und WirtschaftsverbandsvertreterInnen heute noch gar nicht vorstellen können.
Die Umstellung auf das gestufte Studiensystem stellt auch die Frage nach dem Verhältnis der Hochschultypen – Universitäten und Fachhochschulen – neu. Dabei sollten Statusfragen an Bedeutung verlieren und stattdessen jede einzelne Hochschule die Chance erhalten, im Wettbewerb mit anderen attraktive und zeitgemäße Studienangebote zu machen.
Die BAG WHT spricht sich für ein breit angelegtes Bachelorstudium aus, das nach seinem Abschluss verschiedene Wege offen lässt, und für eine Loslösung von streng disziplinären Blick, wenn es um die Zulassung zum Masterstudium geht. Das erfordert gleichzeitig eine Akzentverschiebung im Bachelorstudium, das, anders als das ‚klassische’ universitäre Grundstudium, überblickartiger und vor allem methodenorientierter ausgestaltet werden muss, um eine möglichst große Anschlussfähigkeit in verschiedene unterschiedliche Wissenschaftskulturen, Hochschultypen und Hochschulsysteme hinein zu ermöglichen. Ein einfaches Umetikettieren bisheriger Studienangebote vergibt dagegen die Chance einer wirklichen Studienreform. Ein sinnvolles Konzept ist hier wichtiger als die schnelle Umstellung. In seltsamem Widerspruch zu dem Tempo, das viele Landesregierungen von den Hochschulen fordern, steht die Reformunwilligkeit bei den Studiengängen mit staatlichen Prüfungsordnungen wie Medizin, Lehramt oder Jura. Auch sie sollten inhaltlich reformiert und in die neue Studienstruktur überführt werden.
III. Bachelor als Regelabschluss?
Die neue gestufte Studienstruktur soll die Vielfalt erhöhen und nicht verringern. Dass der Bachelor in der Wissensgesellschaft als Regelabschluss für die große Mehrheit der Studierenden nicht ausreicht, zeigen schon Niveaubeschreibungen wie z.B. die sog. „Dublin Descriptors“, die im Zuge des Bologna-Prozesses erarbeitet wurden (vgl. Abschnitt X.).
Vielmehr sollten unterschiedliche Wege denkbar sein:
Drei oder vierjährige Bachelorstudiengänge sollten möglich sein. In manchen Studienrichtungen
kann der Bachelor der Regelabschluss sein, etwa weil der Arbeitsmarkt nach GeneralistInnen verlangt, die sich zu einem späteren Zeitpunkt ihres Berufslebens die Möglichkeit der Weiterqualifizierung offen halten wollen. In anderen Studienrichtungen kann es sinnvoll sein, dass die große Mehrheit der Studierenden erst nach dem Masterabschluss die Hochschule verlässt. Diesen Weg könnten einige Natur- und Ingenieurwissenschaften oder die Medizin einschlagen, die der gestuften Studienstruktur ohnehin reserviert gegenüberstehen (siehe oben). Hier könnten vermehrt konsekutive Bachelor-Masterangebote gemacht werden, zwischen denen dann aber auch keine neue Zugangshürde aufgebaut werden darf.
In beiden Varianten sollten die Studierenden letztlich die Wahl haben. Ihnen sollte nach Abschluss des Bachelor möglich sein, in den Beruf einzusteigen, in ihrem konsekutiven Masterstudiengang weiter zu studieren oder einen fachlich verwandten oder spezialisierenden Master zu wählen. Deshalb sollte jedes Masterangebot verschiedene, nicht nur einen Bachelorabschluss als Zugangsvoraussetzung zulassen.
Nach Ansicht der BAG WHT sollte der Bachelor nicht zum Regelabschluss werden, sondern Wahlmöglichkeiten eröffnen:
1. Jeder Bachelorabschluss soll den Studierenden einen Eintritt ins Berufsleben ermöglichen, ggf. in neu zu entwickelnde Berufsfelder (z.B. im Medizinbereich).
2. Das Angebot der Hochschulen muss so breit sein, dass Studierende nach dem Bachelorabschluss die Auswahl zwischen verschiedenen Masterangeboten haben.
3. Bei konsekutiven Bachelor-Masterstudiengängen darf es gar keine weitere Zugangshürde zwischen dem Bachelor- und dem direkt zugeordneten Masterstudium geben.
4. Bei nicht-konsekutiven Masterstudiengängen kann der Zugang zu Master-Studiengängen mit sachlich begründeten besonderen Zugangsbedingungen verknüpft werden, feste Übergangsquoten oder Mindest-Noten des ersten Studienabschlusses lehnen wir jedoch ab. Den Studierenden sollten bei der Auswahl des Masterstudiengangs ausreichende Beratungsmöglichkeiten geboten werden.
5. Sowohl in konsekutive als auch nicht-konsekutive Masterstudiengänge sollte die Aufnahme qualifizierter Personen mit mehrjähriger Berufserfahrung möglich sein.
6. Das Studium muss bis zum Masterabschluss gebührenfrei bleiben.
7. Studierende sollen bis zum Masterabschluss Ausbildungsförderung (z.B. BaföG, Stipendien) erhalten.
8. Dass Master-Studierende in der gesetzlichen Krankenversicherung und anderen Leistungen teilweise den Studierendenstatus verlieren, ist nicht hinnehmbar.
IV. Zahl der Studienplätze erhöhen!
Eine ausreichende Zahl an Studienplätzen zu sichern, bleibt eine politische Verantwortung vor allem der Landesregierungen. Unabhängig von der Einführung gestufter Studiengänge ist es aus vielen Gründen notwendig, die Zahl der Studienplätze zu erhöhen. So gibt es eine steigende Zahl von Studierberechtigten und von BewerberInnen, und die Erhöhung der AkademikerInnenquote wird von allen politischen Richtungen, von der HRK und vom Wissenschaftsrat als notwendig angesehen. Gerade in den nächsten zehn Jahren steigt nach allen Prognosen die Zahl der Studierenden noch einmal deutlich an (Stichwort „StudentInnenberg“). Auch setzen geeignete Auswahlverfahren ein Überangebot an Studienplätzen und nicht die derzeit in Deutschland übliche Mangelverwaltung voraus (vgl. Positionspapier der BAG WHT zum Hochschulzugang, Februar 2005).
Im Zuge der Einführung der gestuften Studienstruktur wird die Landschaft der Studienangebote und damit der Studienplätze unübersichtlicher: Die Hochschulen werden unterschiedliche Strategien entwickeln, sich im Bachelor- oder im Masterbereich zu profilieren. Derzeit ist bei ihnen eine Entwicklung zu beobachten, möglichst viele innovative Masterangebote zu starten und den Bachelorbereich eher zu vernachlässigen. Oft werden in teuren neuen Studiengängen nur wenige Plätze angeboten. Ohnehin bindet allein schon die Umstellung auf das zweistufige System für einige Jahre erhebliche Ressourcen an den Hochschulen, die damit nicht in die Betreuung der Studierenden fließen können.
Gerade die Fachhochschulen streben offenbar an, sich mit dem Angebot möglichst vieler Masterstudiengänge als forschungsorientierte Hochschulen zu profilieren: Im WS 2005/06 sollen schon 22% aller FH-Studiengänge Masterstudiengänge sein (DUZ-Nachrichten 8/2005).
Gleichzeitig kündigen die Fachhochschulen an, wegen der höheren Betreuungsintensität im Bachelor- und Masterbereich die Zahl ihrer Studienplätze zu senken (FH-KanzlerInnentagung September 05).
Die vielfach geforderte Erhöhung des Anteils akademisch Gebildeter in der Bundesrepublik wäre aber illusorisch, wenn die Zahl der Bachelorstudienplätze sogar gesenkt würde. Darüber hinaus zeichnet sich auch bei gleichbleibenden Bachelorstudienplätzen ab, dass in Zukunft weniger Studierende als heute eine zum Diplom/Magister äquivalente Qualifikation haben werden. Die nächsten Studierendengenerationen wären von einer Dequalifizierung bedroht.
Dazu tragen neben der zu geringen Studienplatzzahl auch die zusätzlichen Zugangshürden zum Masterstudium (siehe Abschnitt III.) bei. Beiden Entwicklungen muss gegengesteuert werden.
Bündnis 90 die Grünen sollten sich in den Ländern dafür einsetzen, dass sowohl die Zahl der Bachelorstudienplätze erhöht wird, aber gleichzeitig auch im Masterbereich ein vielfältiges und zahlenmäßig ausreichendes Angebot vorhanden ist. Dazu sind insgesamt mehr und besser finanzierte Studienplätze notwendig. Gerade angesichts der in den kommenden Jahren voraussichtlich noch einmal steigenden Studierendenzahlen ist deshalb eine bessere Finanzausstattung der Hochschulen notwendig.
Die Landesregierungen sollten sowohl die Gesamtzahl der im Land angebotenen Studienplätze verbindlich mit den Hochschulen vereinbaren als auch auf die Gewichtung zwischen Bachelor- und Masterangeboten Einfluss nehmen. Gleichzeitig sollte das Kapazitätsrecht flexibilisiert werden, z.B. durch ein Bandbreitenmodell.
Zur Sicherung einer ausreichenden Zahl von Studienplätzen gehört auch, die Bereitstellung von Studienplätzen nicht allein von der aktuellen Nachfrage abhängig zu machen. Dies betrifft sowohl Fächer, deren Nachfrage starken Schwankungen unterworfen ist (z.B. Ingenieurwissenschaften), als auch die sogenannten Orchideenfächer.
V. Frauenbeteiligung verbessern!
Im Bachelorstudium ist der Frauenanteil durchweg höher als im Diplomstudium. Besonders auffällig ist dies an Unis und Fachhochschulen in den Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften sowie den Naturwissenschaften an den Unis. Bei den BachelorabsolventInnen liegt der Frauenanteil derzeit bei rund 54%. In Masterstudiengängen liegt der Frauenanteil allerdings deutlich niedriger, unter den AbsolventInnen sind nur 33% Frauen (Zahlen aus CEWS 2004).
Bachelorstudiengänge könnten durchaus ein Instrument sein, um den Frauenanteil in klassisch männlich dominierten Studienfächern anzuheben, da Frauen oft gut strukturierte und zeitlich planbare Angebote anderen vorziehen. Jedoch scheinen deutlich weniger Frauen als Männer den Schritt zu einem weiterführenden Master-Studiengang zu wagen. Dies ist eine kritische Entwicklung, die zu einer ähnlichen Dequalifizierung führen kann wie unter IV. beschrieben, in diesem Fall aber geschlechtsspezifisch.
Die BAG WHT fordert, dass die Nachteile für Frauen beim Übergang in die Masterphase aufgeklärt und behoben werden. Der Frauenanteil sollte in den regelmäßig fälligen Wieder-Akkreditierungen von Studiengängen ein wichtiges Kriterium für die Weiterführung des Studiengangs sein.
VI. Verfahren der Akkreditierung
Qualitätssicherung ist in der zweistufigen Studienstruktur, die eine größere Vielfalt von Studienangeboten verschiedener Ausrichtung und Schwerpunktsetzung bietet, ein wichtiger Punkt. Wir begrüßen, dass an die Stelle der Genehmigung von Studiengängen durch die Ministerialbürokratie Akkreditierungsverfahren treten, die auf dem Dialog zwischen Lehrenden und Studierenden vor Ort und auswärtigen ExpertInnen basieren. Um bei der Akkreditierung erfolgreich zu sein, müssen am Fachbereich endlich wieder Diskussionen über das eigene fachliche Profil, die Lernziele, die richtigen Vermittlungsmethoden und die Organisation des Lehrangebots geführt werden, was an vielen deutschen Hochschulen längst nicht mehr üblich war.
Die derzeit übliche Form der Akkreditierung einzelner Studiengänge stößt aber schon heute an ihre Grenzen: Derzeit ist fraglich, ob es einen funktionierenden Wettbewerb zwischen den Akkreditierungsagenturen gibt: Einer übergroßen Menge an noch zu akkreditierenden Studiengängen in Deutschland stehen nur wenige Akkreditierungsagenturen gegenüber. Dies hat zu einem hohen Rückstand bei den Agenturen, hohen Kosten und hohem Aufwand für die Fachbereiche geführt. In den Akkreditierungskommissionen sind außerdem gerade einmal 17% Frauen vertreten.
Eine Notlösung ist heute die sog. Sammelakkreditierung mehrerer Studiengänge im Paket zum „Rabattpreis“, die aber zu Lasten der intensiven Diskussion über jeden einzelnen Studiengang mit allen Beteiligten geht. Sinnvoller erscheint der Weg zu einer institutionellen oder Prozess-Akkreditierung, die den Qualitätssicherungsprozess des Fachbereichs bei der Entwicklung neuer Studiengänge bewertet, aber nicht jeden einzelnen Studiengang.
Der Akkreditierungsrat trifft nur sehr wenige Rahmenregelungen für die Akkreditierung. Diese Liberalität führt leider oftmals nicht zu großen Freiräumen für die Hochschulen, sondern im Gegenteil erarbeiten die Akkreditierungsagenturen (mit Hilfe der Fachgesellschaften) für ein
Fach oft äußerst detaillierte Anforderungskataloge bis hinein in einzelne Studiengebiete oder Praktika. Trotzdem wird die Anerkennung von Studienleistungen bei StudienortwechslerInnen nicht einfacher als früher (vgl. VII). Ziel muss es dagegen sein,
• sowohl gewisse fachliche Standards zu setzen, die den Studienortwechsel erleichtern und den Eintritt in gesetzlich geregelte Berufsfelder ermöglichen;
• und gleichzeitig eine zu starke inhaltliche Gleichförmigkeit der Studiengänge zu verhindern und die Vielfalt zu erhöhen.
Alles andere geht an den Grundzielen der Studienreform vorbei.
Die BAG WHT spricht sich dafür aus, die Handlungsmöglichkeiten des Akkreditierungsrates als Gremium, in dem Politik und alle Statusgruppen vertreten sind, gegenüber den Akkreditierungsagenturen zu stärken. Der Akkreditierungsrat muss in der Lage sein, zwischen zu engen inhaltlichen Vorgaben der Agenturen im Akkreditierungs-verfahren und notwendigen fachlichen Grundgerüsten zu unterscheiden und so den Hochschulen den notwendigen Grad inhaltlicher Selbstgestaltung zu erhalten. Es sollte von politischer Seite für einen funktionierenden Wettbewerb zwischen den Agenturen gesorgt werden. In den Gremien der Agenturen müssen die Studierenden repräsentiert sein. Dazu sollte auf den Studentischen Akkreditierungspool, der aus geschulten Studierenden besteht, zurückgegriffen werden. Die Beteiligung von Frauen in Akkreditierungs- und Begutachtungsgremien muss erhöht werden. Sammelakkreditierungen lehnen wir ab, denn sie sind weder geeignet, die Qualitätsstandards des Studiengangs oder der Institution ausreichend zu prüfen, noch können sie Studierende vor überhöhten Leistungsanforderungen im Detail schützen. Dagegen scheinen uns institutionelle Akkreditierungen oder Prozess-Akkreditierungen sinnvoller zu sein.
VII. Weniger statt mehr Bürokratie bei der Anerkennung von Studienleistungen!
Die Einführung von Leistungspunktsystemen hat bisher nicht zur automatischen Anerkennung von Leistungen durch andere Hochschulen im In- und Ausland geführt, sondern es bleibt bei der individuellen Anerkennung im Einzelfall auf Antrag. Nur zwischen einem Teil der
Hochschulen existieren bilaterale Verträge, die die Anerkennung erleichtern.
Oft ist die Einführung der Leistungspunktsysteme an deutschen Hochschulen nicht einmal ECTS-gerecht. ECTS-Punkte werden rein nach Zeitaufwand und workload vergeben. An deutschen Hochschulen repräsentiert jedoch oftmals die Zahl der vergebenen Punkte die Wichtigkeit des jeweiligen Themengebiets im Fach oder es werden die ECTS-Punkte so vergeben, dass sich daraus die gewichtete Gesamtnote ergeben soll. Vereinzelt werden erfolglose Prüfungen mit Maluspunkten „bestraft“. All dies ist systemfremd und widerspricht dem Ziel, die Anerkennung von erbrachten Lern- und Studienleistungen zu vereinfachen.
Außerdem hat die Einführung der neuen Studienstruktur zu einer Bürokratisierung geführt, die gerade die Lehrenden belastet. In vielen Veranstaltungen werden verbindliche Anwesenheitslisten geführt, Seminararbeiten müssen über Jahre archiviert werden, für die größere Zahl von Prüfungen ist ein erhöhter Personalbedarf notwendig. Auch den Studierenden bringt die größere Zahl von Prüfungen und die Bürokratie bisher keine Vorteile: Noch immer erhalten sie nicht automatisch diploma supplements.
Bündnis 90 die Grünen sollten sich in den Ländern dafür einsetzen, dass Hochschulen auf die Einführung ECTS-kompatibler Leistungspunktsysteme verpflichtet werden. Die problemlose gegenseitige Anerkennung von credit points zumindest unter Hochschulen in Deutschland, perspektivisch europaweit, muss so schnell wie möglich gewährleistet werden.
Diploma supplements sollten mit jedem Abschlusszeugnis und auf Antrag der Studierenden auch zwischendurch erstellt werden. Das Prüfungssystem sollte ohne überflüssige Bürokratie organisiert werden. Parallelsysteme von Leistungs- und Belegpunkten oder auch Maluspunktesysteme o.ä. komplizieren das System und sind ein Sanktionierungsinstrument gegenüber den Studierenden, das in Zeiten von ohnehin starker Regelstudienzeitorientierung, Langzeitstudiengebühren und ähnlichen Mechanismen abzulehnen ist.
VIII. Internationalisierung stärken!
Ein wichtiges Versprechen bei der Neueinführung des zweistufigen Systems war die verstärkte internationale Anschlussfähigkeit und Vergleichbarkeit der Studienleistungen. Sie ist derzeit nicht gegeben. Gründe dafür sind die starke Unterschiedlichkeit der Bachelor- und Masterstruktur z.B. in England, den USA und Australien (zwei- und dreijährige Modelle, Binnendifferenzierung in Bachelor und Bachelor of Honours, unterschiedliche Grade der Spezialisierung bzw. des studium generale, vgl. CHE 2004) oder auch positiv zu wertende Besonderheiten des deutschen Systems, wie etwa die Praxisanteile (früher: Praxissemester) an den Fachhochschulen, die andernorts unbekannt sind. Allein durch die neuen Abschlussbezeichnungen wird die Mobilität nicht erhöht.
Zudem haben sich in der deutschen Diskussion bestimmte Spezialitäten verfestigt, die international nicht üblich sind, etwa die Zweiteilung in forschungsorientierte und anwendungsorientierte Masterprogramme oder die vielerorts übliche monodisziplinäre Ausgestaltung der Bachelorprogramme.
Auch ist durch die straffe Organisation vieler neuer Bachelor- und Masterangebote eine Verschulung eingetreten, die den Einschub von Auslandsaufenthalten noch weiter erschwert.
Insgesamt ist zu befürchten, dass die Zahl ausländischer Studierender in Deutschland und die Mobilität deutscher Studierender ins Ausland sinkt statt zu steigen.
Die BAG WHT fordert, dass die internationale Anschlussfähigkeit von Studienprogrammen ein wichtiger Bestandteil der Akkreditierung wird. Die Vorgabe von Studienplänen und die Modularisierung von Bachelor- und Masterstudiengängen dürfen Auslandsaufenthalte nicht behindern, sondern sie sollten sinnvolle ‚Sollbruchstellen’ vorsehen, an denen sich ein Auslandsaufenthalt, ein mehrmonatiges Praktikum o.ä. einschieben lässt. Die Mobilität sollte sowohl im Rahmen internationaler Studienprogramme mit Partnerhochschulen gefördert werden als auch für individuelle Studierende, die sich ihre Hochschule frei auswählen.
IX. Innovative Lehr- und Lernformen statt kostengünstigem Schmalspurstudium!
Wenn das Bachelorstudium nicht nur ein billiges Schmalspurstudium für die Masse, sondern eine fundierte wissenschaftliche Grundlagenausbildung – angereichert durch weitere Schlüsselkompetenzen – sein soll, dann erfordert dies eine intensivere Betreuung der Studierenden und neue Lehr- und Lernformen. Das ist teurer als bisher und erfordert möglicherweise Änderungen in der Personalstruktur der Hochschulen. ExpertInnen weisen darauf immer wieder hin, dass der Betreuungsaufwand eines Bachelorstudiengangs in etwa so groß ist wie der eines (1-2 Jahre längeren) Diplom- oder Magisterstudiengangs.
In der politischen Reformdiskussion spielt die Kostensteigerung jedoch keine große Rolle, sondern die Reformen sollen kostenneutral sein. Dies kann letztlich nur durch ein deutlich verschulteres Studium mit einem festgelegten „Stundenplan“, der Aufgabe der letzten Wahl- und Wahlpflichtbereiche und einer weiteren Verdichtung der Prüfungen und Lehrinhalte eingelöst werden. Das würde aber das Ausbildungsniveau senken und die Chance vergeben, das zweistufige Studiensystem als Reformimpuls zu nutzen.
Statt solcher Fehlentwicklungen sollten systematisch neue Lehr- und Lernformen entwickelt werden. In vielen Bachelorstudiengängen werden heute bereits gemeinsame Lehrveranstaltungen von VertreterInnen verschiedener Fachrichtungen abgehalten. Dies sollte weiter gefördert werden. Die sich durch die Modularisierung eröffnenden Möglichkeiten der flexiblen Zeitgestaltung des Studiums, insbesondere des Teilzeitstudiums, sollten in den gestuften Studiengängen stärker genutzt werden: Nur in 0,5% der akkreditierten gestuften Studienangebote ist derzeit Teilzeitstudium möglich (HRK-Hochschulkompass Sommer 05).
Die BAG WHT betont, dass ein zeitlich straffer organisiertes Studium nur mit neuen, personalintensiveren Vermittlungsmethoden machbar ist. Dies muss bei der Akkreditierung von Studiengängen ein viel wichtigerer Punkt werden (Einflussmöglichkeit über Akkreditierungsrat). Zusätzliche Mittel zur Verbesserung der Betreuungsrelationen müssen verfügbar gemacht werden. Über neue Funktionen wie Lecturer oder Lehrprofessur muss besonders an den Unis nachgedacht werden, sowohl im Bezug auf die Lösung der kapazitären Probleme als auch im Bezug auf die Einheit von Forschung und Lehre. Die Einnahmen aus den in manchen Ländern geplanten Studiengebühren – gegen die wir uns nach wie vor aussprechen – müssen wenigstens zweckgebunden in mehr Personal für Lehre und Prüfungen, in Tutorien und in Jobs für Studierende fließen, die die Lehre unterstützen.
X. Qualifikation durch den Bachelorabschluss
Im Zuge des Bologna-Prozesses wurden von einer Expertengruppe die sog. „Dublin Descriptors“ als Niveaubeschreibungen für die neuen Abschlüsse erarbeitet (siehe www.jointquality.org). Dort heißt es, dass BachelorabsolventInnen in ihrem Feld ein Wissen und Verständnis haben sollen, das in Teilbereichen dem Stand der Wissenschaft entspricht. Sie sollen die Fähigkeit haben, selbständig weiter zu lernen. Sie sollen ihr Wissen auch im Beruf anwenden können. Diese Beschreibung zeigt, dass der Bachelor sowohl der erste Schritt zu einer wissenschaftlichen Qualifikation sein soll (die durch den Master vervollständigt wird) als auch den Einstieg in Berufsfelder ermöglichen soll.
Nach einer HIS-Studie nehmen in Deutschland bisher knapp 60% der Fachhochschul-Bachelors im Anschluss ein weiteres Studium (meistens Masterstudium) auf. Von den Universitätsbachelors nehmen knapp 80% ein weiteres Studium auf.
Der Bachelor an der FH bietet den FH-Studierenden derzeit offenbar insgesamt gute Aussichten: Einem großen Teil ist ein Berufseinstieg möglich, die Einstiegsgehälter liegen sogar höher als beim früheren FH-Diplom, und wer sich weiter qualifizieren will, kann dies in einem Masterstudiengang an der FH oder an der Uni tun. Auch für Berufsausbildungen, für die eine stärker wissenschaftsorientierte Ausbildung wünschenswert wäre und international auch üblich ist, könnten Bachelorstudiengänge an der FH ein Lösungsweg sein, z.B. in einigen pädagogischen oder Gesundheitsberufen.
Der Bachelor an der Uni ist in der heutigen Form dagegen kritischer zu sehen: Die meisten Bachelors gehen im Anschluss in ein weiteres Studium, entweder weil sie sich nicht ausreichend qualifiziert fühlen oder weil der Berufseinstieg nicht gelungen ist. Der Berufseinstieg fällt den Uni-AbsolventInnen offenbar schwer, auch wenn die Bereitschaft da ist, zunächst (oftmals unbezahlte) Praktika zu absolvieren. Der Uni-Bachelor scheint also bisher noch kein wirklich berufsqualifizierender Studiengang zu sein. Hier müssen die Universitäten noch „nachlegen“, denn ihren AbsolventInnen muss ein Berufseinstieg bereits nach dem Bachelor möglich sein.
Den Begriff der Berufsqualifikation verstehen wir dabei nicht als eng ‚auf ein bestimmtes
Berufsbild ausgerichtet’, sondern als ‚in einem wissenschaftsnahen Feld hinreichend qualifiziert, um einer Tätigkeit nachzugehen, die ein Mindestmaß an akademischer Bildung erfordert’. Dies entspricht sehr viel mehr dem Gedanken der Bolognaerklärung und auch der Vorstellung des Inhaltes von Bachelorstudiengängen anderswo. In der deutschen Diskussion werden Begriffe wie Berufsbefähigung oder Berufsqualifizierung dagegen oft zu sehr im Sinne einer direkten Berufsausbildung verstanden.
Die BAG WHT fordert besonders die Universitäten auf, ihre Bachelorstudiengänge so zu gestalten, dass sie einen Berufseinstieg möglich machen. Berufsbefähigung bedeutet dabei nicht die Ausrichtung auf ein bestimmtes Berufsbild, sondern die Herstellung einer hinreichenden wissenschaftsbasierten Qualifikation.
Weitere Informationen zu Bachelor und Master
• HIS (Hg.): Der Bachelor als Sprungbrett? Ergebnisse der ersten bundesweiten Befragung von Bachelorabsolventinnen und Bachelorabsolventen. Teil I: Das Bachelorstudium. HIS-Kurzinformation A3 / 2005
• HIS (Hg.): Der Bachelor als Sprungbrett? Ergebnisse der ersten bundesweiten Befragung von Bachelorabsolventinnen und Bachelorabsolventen. Teil II: Der Verbleib nach dem Bachelorstudium. HIS Kurzinformation A4 / 2005
• Center of Excellence Women and Science (CEWS): Akkreditierung – Geschlechtergerechtigkeit als Herausforderung. Positionspapier zur Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland. Bonn, September 2004
• Centrum für Hochschulentwicklung (Hg.): Ein Vergleich angelsächsischer Bachelor-Modelle: Lehren für die Gestaltung eines deutschen Bachelor? CHE-Arbeitspapier 55, Mai 2004
• Wissenschaftliches Zentrum für Berufs- und Hochschulforschung der Universität Kassel (Hg.): Stand der Einführung von Bachelor- und Master-Studiengängen im Bologna-Prozess sowie in ausgewählten Ländern Europas im Vergleich zu Deutschland. Studie im Auftrag des BMBF, Februar 2005
• Dublin Descriptors: siehe http://www.jointquality.org/
• HRK: Statistische Daten zur Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen. Statistiken zur Hochschulpolitik 2/2005. Bonn November 2005
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