Beschluss: „Faire Arbeitsverträge in der Wissenschaft!“

Seit 2007 regelt das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) die befristete Anstellung von Wissenschaftler*innen. Als Sonderarbeitsrecht ermöglicht es prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Schon die Novelle im Jahr 2016 hatte das Ziel, den zu hohen Anteil an Kurzzeitbefristungen in der Wissenschaft zu verringern und die Beschäftigungsbedingungen zu verbessern. Die Evaluierungen der Novelle[1] zeigen aber deutlich, dass eine wesentliche Verbesserung der Situation nicht erreicht wurde. Jetzt muss die überbordende Befristungspraxis beendet und reguläre Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft geschaffen und etabliert werden.

Wir wollen, dass Wissenschaftler*innen ihre innovativen Ideen, ihren Einsatz und ihre Motivation entfalten können, ohne durch prekäre, familienfeindliche Arbeitsbedingungen ausgebremst zu werden. Mit einer echten Reform des WissZeitVG schaffen wir es, die Arbeitsbedingungen von Wissenschaftler*innen erheblich zu verbessern. Damit fördern wir kreative Köpfe in der Wissenschaft, deren Neugier und Erfindungsgeist wir so dringend brauchen, um die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu bewältigen. #IchBinHanna muss der Vergangenheit angehören.

Sowohl der Europäische[2] als auch der Deutsche[3] Qualifizierungsrahmen sehen in der Promotion die höchste formale Qualifikation. Eine wissenschaftliche Tätigkeit ist aber immer mit Weiterbildung verbunden. Gerade deshalb sind unbefristete Arbeitsverträge für promovierte Wissenschaftler*innen zu schaffen, um hochqualitative Forschungs- und Lehrergebnisse zu sichern.

Eine Überarbeitung des WissZeitVG ist gelebte Familien- und Gleichstellungsförderung. Befristete Verträge mit andauernder Unsicherheit in einem Lebensabschnitt, in dem üblicherweise die Familiengründung stattfindet, führt auch zu einem erheblichen Ungleichgewicht der Repräsentanz von Forscherinnen auf höherwertigen Stellen.

Studierende, die im wissenschaftlichen Betrieb arbeiten (im Folgenden Studentische Beschäftigte genannt), müssen ebenfalls in sicheren Verhältnissen beschäftigt sein. Zurzeit ist es an vielen Hochschulen gängige Praxis, dass diese trotz langfristiger Aufgaben lediglich mit Monatsverträgen angestellt werden. Dies verstärkt die finanzielle Unsicherheit von Studierenden. Auch Studentische Beschäftigte brauchen angemessene Arbeitsbedingungen, faire Löhne und verlässliche Vertragslaufzeiten.

Die Neugestaltung des WissZeitVG ist eine große Chance, um wesentliche Probleme im Arbeitsbereich Wissenschaft zu lösen, wenn die Reform durch eine solide Grundfinanzierung flankiert wird. Das bedeutet eine Rückführung der öffentlichen Projektmittel auf ihren eigentlichen Zweck und eine Verstetigung der Pakte – schließlich ist es absurd, dass der Bund Dauerstellen durch befristete Paktmittel finanziert!

Über das WissZeitVG hinaus braucht es auch auf Dauerbeschäftigung angelegte Personalstrukturen, bessere Mitbestimmung für die Beschäftigten, flachere Hierarchien, eine Demokratisierung der Hochschulen, sowie eine funktionierende Qualitätssicherung bei Promotionen. Diversität und Gleichstellung müssen auf allen Ebenen weiter gefördert werden. Hier sind insbesondere die Länder in der Pflicht.

Wir halten folgende Änderungen bei der WissZeitVG-Novelle für notwendig:

  1. Gute Arbeitsbedingungen müssen bereits in der Promotionsphase gewährleistet sein. Wissenschaftler*innen können sich dann auf die eigene wissenschaftliche Arbeit konzentrieren. Ziel ist es auch, durch verbesserte Arbeitsbedingungen die durchschnittliche Promotionszeit zu verkürzen. Die Promotion wird als eine einzige Qualifizierungsphase (ein Vertrag) mit einer Laufzeit von mindestens vier Jahren und grundsätzlich mindestens 50% Stundenumfang gestaltet. Bei der Ausschreibung einer Promotionsstelle muss in jedem Fall für die Arbeit an der Dissertation 50% einer Vollzeitstelle vorgesehen werden. Ein Stellenumfang von weniger als 50% ist nur zulässig, wenn der Vertrag ergänzend zu einem Promotionsstipendium geschlossen wird. Bei Fertigstellung der Dissertation verlängert sich der Vertrag um ein Jahr, um die Verteidigung, die Veröffentlichung der Arbeit und die berufliche Orientierung zu ermöglichen[4].
  2. Die befristete Beschäftigung gemäß WissZeitVG von nicht-promovierten Hochschulabsolvent*innen in Forschungsprojekten ist nur zulässig, wenn ihnen im Rahmen des Projekts die Möglichkeit zur eigenständigen wissenschaftlichen Forschung mit dem Ziel der Erarbeitung einer Dissertation eingeräumt wird. In diesem Fall ist mit der oder dem Beschäftigten immer ein befristeter Arbeitsvertrag nach Nr. 1 abzuschließen („Vorrang des Qualifizierungsvertrages in der Promotionsphase“).
  3. Die Sachgrundbefristung „Qualifizierung“ darf nur für die Promotion (mindestens 4 Jahre plus 1) angewandt werden. Die Qualität der Betreuung und die Einhaltung der Promotionsdauer wird ebenso wie die fachgerechte Erstellung durch eine Rahmenvereinbarung, in der extern überprüfbare Zwischenziele festgehalten werden, gesichert (ggf. in den Landeshochschulgesetzen zu regeln).
  4. Die Post-Doc Phase ist keine Qualifikationsphase[5]! Eine befristete Anstellung ist nach der Promotion deshalb nur einmalig möglich und mit einer verbindlichen Anschlussoption auf eine entfristete Beschäftigung zu versehen. Den Anteil an Dauerstellen nach der Promotion wollen wir substantiell erhöhen. Für jede Dauerstelle nach der Promotion soll dabei ein substantieller Anteil der Arbeitszeit für Forschung als Dienstaufgabe vorgesehen sein. Die Ausgestaltung der Regelung für die Anschlussoption erfolgt durch die Hochschulgesetze der Länder. Der Bund passt zur Erreichung dieser Ziele seine Forschungsförderprogramme an. Perspektivisch sind attraktive Stellen für Post-Docs jenseits einer Professur unbefristet auszuschreiben. Eine Zeit mit Übergangsregelungen kann für die dafür nötigen Veränderungen festgehalten werden – angemessen erscheinen 4 Jahre[6].
  5. Auch Drittmittelforschungen sind grundsätzlich Daueraufgaben. Für befristet finanzierte Projekte sollen Mischfinanzierungen von Stellen aus Dritt- und Haushaltsmitteln und sog. Drittmittelpools explizit erlaubt sein und unterstützt werden, damit die bestehenden Rechtsunsicherheiten beseitigt werden und Kettenverträge der Vergangenheit angehören. Es soll statistisch erfasst werden, an welchen Hochschulen wie und in welchem Umfang davon Gebrauch gemacht wird.
  6. Mitarbeitende, die überwiegend mit Aufgaben in der Lehre oder dem Wissenschaftsmanagement beschäftigt sind, unterliegen nicht dem WissZeitVG.
  7. Die familien- und pflegepolitische Komponente zur Verlängerung der Promotionsphase muss für alle wissenschaftlichen Beschäftigten angewendet werden. Sie wird durch eine Regelung für Nachteile aufgrund der Corona-Pandemie ergänzt. Auch Gremientätigkeit muss eine Verlängerung der Promotionsphase zur Folge haben.
  8. Mit Studentischen Beschäftigten[7] sollen in der Regel Verträge mit einer Mindestlaufzeit von 2 Jahren begründet werden[8]. Eine maximale Befristungsdauer gibt es nicht.
  9. Die Tarifpartner müssen die Möglichkeit haben, selbst über konkrete Ausgestaltungen zu entscheiden.
  10. Über den Umsetzungsstand des neuen WissZeitVG muss alle zwei Jahre berichtet werden.

Verweise

[1] BMBF: Evaluation des novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vom 22.05.2022, siehe https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2022/abschlussbericht-evaluation-wisszeitvg.pdf?__blob=publicationFile&v=3 und NGAWiss: Kuhnt, Matthias/Reitz, Tilman/Wöhrle, Patrick (2022): Arbeiten unter dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz: Eine Evaluation von Befristungsrecht und -realität an deutschen Universitäten, abrufbar unter: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa2-805117 GEW: Freya Gassmann unter der Mitwirkung von Jascha Groß und Cathrin Benkel: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Eine erste Evaluation der Novellierung von 2016, abrufbar unter: https://www.gew.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=95100&token=7913981201ce431a69b4b6cdb353b85c71a2636b&sdownload=&n=Evaluation-WissZeitVG-AV-final.pdf

[2] https://europa.eu/europass/de/description-eight-eqf-levels

[3] https://www.dqr.de/dqr/shareddocs/qualifikationen-neu/de/Akademischer-Doktorgrad-Dr.html?nn=36583

[4] Im Härtefall (geschlossenes Archiv etc.) kann nach externer Begutachtung der Vertrag verlängert werden.

[5] Mit der Promotion ist die wissenschaftliche Qualifikation für einen Arbeitsplatz in der Wissenschaft abgeschlossen. Dass jede*r ´ Wissenschaftler*in sich weiterentwickelt, sich weiter qualifiziert, ist selbstverständlich.

[6] Das entspricht einer Legislatur und dem üblichen Finanzierungszeitraum im Rahmen von Hochschulverträgen, um die notwendigen Änderungen umzusetzen.

[7] Unter studentischen Beschäftigten verstehen wir diejenigen Studierenden, die 1. an einer Hochschule immatrikuliert sind, 2. an einer Hochschule oder Forschungseinrichtung angestellt sind und 3. dort einer Beschäftigung nachgehen, die explizit als studentische Beschäftigung im Sinne des jeweils geltenden Hochschulgesetzes ausgewiesen ist.

[8] Die Laufzeit endet jedoch außerordentlich mit der Beendigung des dem Vertrag zugrunde liegenden Studiums oder der Exmatrikulation.

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