Chancen und Risiken der „neuen Gentechnik“

Positionspapier der BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik zu CRISPR

Als Grüne stehen wir klar zu wissenschaftlicher Erkenntnis und faktenbasierten politischen Entscheidungen. Wir legen Wert darauf, Politik nicht nur auf Gefühle zu stützen, Ängste und Euphorie immer kritisch zu hinterfragen und Einschätzungen mit Fakten zu hinterlegen. Wir sind dafür auf eine freie Wissenschaft angewiesen, die sich neuer Fragestellungen und Entdeckungen unvoreingenommen annimmt.

Die Entwicklungsstadien im Bereich der Biologie, Chemie und Medizin hin zur molekularen Genetik und letztlich zur Gentechnik haben uns bis heute wertvolle Erkenntnisse über Pflanzen, Lebewesen und Krankheiten ermöglicht. Der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt hat auch zur Entwicklung neuer Technologien wie der Gentechnik geführt. Jede Innovation ist dabei mit Chancen und Risiken verbunden, derer es einer verantwortungsvollen Abwägung durch die Wissenschaft aber auch der Politik bedarf. Wir vertreten deshalb das Prinzip „Wissenschaft in Freiheit und Verantwortung“.

Die Kritik an der Gentechnik hat sich in der programmatischen Geschichte unserer Partei lange etabliert. Besonders zu Zeiten weit verbreiteter unkritischer Technikgläubigkeit wandten wir Grüne uns gegen die nur scheinbar einfachen Lösungen gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Probleme durch Technik. Auch heute schauen wir genau hin, wenn technische Lösungen versprochen werden, ohne jedoch neue Technologien pauschal abzulehnen.

Mit der „neuen Gentechnik“ unter dem Schlagwort CRISPR ist nun neue Bewegung in die Diskussion über Gentechnik gekommen.

Die CRISPR-Technik lässt es zu, Erbgutabschnitte gezielt zu entfernen und auszutauschen. Dabei dient ein Molekül als Schere, welches die vorgesehenen neuen DNA-Schnipsel transportiert. Hierdurch ist CRISPR präziser als ältere Techniken, weswegen Forscher*innen auch davon sprechen, das Genom zu editieren.

Im Kontext roter Gentechnik stellen sich angesichts der Perspektiven neuer Therapiemöglichkeiten ethische Fragen neu. Strittig ist, ob das bei grüner Gentechnik auch der Fall ist, oder ob wir hier die Antworten schon haben. Aus einer wissenschaftspolitisch motivierten Sicht kann es, wenn es um eine politische Positionierung angesichts technologischer Neuentwicklungen geht, ohne Diskussion nicht gehen. Die derzeit verbreitete Haltung, dass es nichts zu besprechen gebe, weil die grünen Positionen zur Gentechnik auch auf die neue Gentechnik unverändert anwendbar seien, lässt sich aus dieser Perspektive nicht halten.

Unabhängig vom Anwendungskontext wird CRISPR von vielen Akteur*innen mit neuen Hoffnungen und Versprechen in Verbindung gebracht. Zum einen wird es durch die Forschung mit CRISPR möglich, das Genom als solches besser zu verstehen. Das ist für die Grundlagenforschung ebenso wichtig wie für die Entwicklung neuer Anwendungen. Zum anderen kann das Genom präziser und effizienter verändert werden, als das mit bisherigen gentechnischen Verfahren möglich ist. Ein pauschales Ablehnen dieser Technologie ist daher wenig hilfreich.

Darüber hinaus verbinden einige Akteur*innen mit CRISPR die Hoffnung, künftig deutlich schneller als bei der herkömmlichen Züchtung möglicherweise gewünschte Eigenschaften wie gesteigerte Dürreresistenz oder höhere CO2-Aufnahmefähigkeit in neuen Organismen erzielen zu können.

Unbestritten ist aus unserer Sicht, dass Gene-Editing eindeutig der Gentechnik zuzurechnen ist und damit verbundene Anwendungen der Regulierung bedürfen. Im Kern der Debatte steht für uns vielmehr die Frage, wie wir grüne Gentechnik in Bezug auf ihre technischen Eigenschaften und ihre Anwendungskontexte bewerten.

Die Atomenergie haben wir Grüne zweifelsohne auf Grund ihrer technischen Eigenschaften und ihrer Anwendungskontexte abgelehnt. Beide zusammen ließen uns zu dem Schluss kommen, dass diese Technologie mit unvertretbar großen Risiken für das Wohl von Mensch und Umwelt verbunden ist.
In der Gentechnik hingegen haben wir auch in der Vergangenheit (bei der klassischen Gentechnik) einen Unterschied zwischen grüner und roter Gentechnik gemacht und insbesondere die grüne Gentechnik abgelehnt.

Wir kritisieren bei der grünen Gentechnik die Anwendungskontexte und die Motivationen, aus denen heraus sich Akteur*innen daran gemacht haben, an der DNA von Pflanzen Veränderungen vorzunehmen. Denn die Anwendungsvarianten und die damit verfolgten Ziele dienten insbesondere der Etablierung wirtschaftlicher Marktmonopole. Die Abhängigkeit von Pestiziden, Fungiziden und Herbiziden eines Konzerns ging insbesondere zu Lasten von Kleinbäuer*innen und Umwelt. Wir Grüne kritisieren die damit einhergehenden gesellschaftlichen und globalen Entwicklungen, aber auch die Umweltschäden und stellen den Schutz von Umwelt, Tieren, Verbraucher*innen und Produzent*innen in den Fokus.

Die neue Gentechnik um CRISPR wird nicht wieder verschwinden, da Forschung und Entwicklung im globalen Kontext stattfinden und international weiter an und mit CRISPR gearbeitet wird. Heute ist es entscheidend, dafür zu sorgen, dass die technologischen Perspektiven nicht von Konzernlogiken konsumiert werden, um am Ende wieder in die gleichen Anwendungskonstellationen wie bei der hergebrachten grünen Gentechnik einzumünden. Damit dies bei CRISPR gelingen kann, brauchen wir politische Initiativen für regulatorische Standards auch auf internationaler Ebene.

Als Grüne sind wir heute gefordert, differenzierte Maßnahmen zur Regulierung dieser neuen Gentechnik zu finden. Unsere Haltung darf sich dabei jedoch nicht lediglich auf die bis dato hergebrachte Argumentation stützen, sondern muss auf neue Entwicklungen Bezug nehmen. Dabei stellen wir drei Prinzipien für unsere Positionierung auf, die für alle Arten („Farben“) der Gentechnik gelten:

  • CRISPR ist unzweifelhaft Gentechnik, auch wenn sich an CRISPR-Produkten nicht mehr feststellen lässt, ob diese gentechnisch veränderte DNA im herkömmlichen Sinne enthalten. Deshalb sprechen wir uns bei der Entscheidung über regulative Maßnahmen für eine Betrachtung des Prozesses und nicht nur der Produkte aus.
  • Die Forschung an und mit CRISPR muss im Sinne des Grundsatzes „Wissenschaft in Freiheit und Verantwortung“ möglich sein, sofern entsprechende Sicherheitskonzepte und Ethikrichtlinien vorliegen. Dies betrifft sowohl Grundlagen- als auch anwendungsorientierte Forschung. Forschung und Technologiearbeit in Laboren muss klaren Transparenz- und Berichtspflichten unterliegen. DNA-Veränderungen mittels CRISPR bedürfen einer klaren Dokumentations- bzw. Kennzeichnungspflicht, so dass die Nachvollziehbarkeit langfristig gewährleistet wird.
  • Durch unabhängige Zulassungsverfahren muss die Sicherheit von Organismen, die mittels mit Gene-Editing verändert wurden, geprüft werden. Sobald keinerlei Bedenken für Mensch und Umwelt bestehen und in der Nutzung der Organismen ein signifikanter Vorteil besteht, sollte die Anwendung möglich sein. Dabei ist auch unter Nutzung von Langzeitstudien das Vorsorgeprinzip zu beachten. Ob es dabei ein einheitliches Verfahren auf Basis der bisherigen GVO geben soll oder ob es eines differenzierten Zulassungsverfahrens bedarf, ist aktuell Gegenstand der Debatte.

CRISPR ist immer ein Mittel zum Zweck, mit dem negative als auch positive Ziele verfolgt werden können, wie bei jeder anderen Technologie. Insbesondere für folgende Ziele darf diese Technologie unserer Auffassung nach nicht genutzt werden:

  • Das Erstellen von Pflanzen mit Pflanzenschutzmittelresistenz mit der Intention, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf den Feldern zu verstärken, ist nicht zu genehmigen. Ziel muss es sein, den Pflanzenschutzmitteleinsatz zu verringern.
  • Die amateurhafte Verwendung im Sinne des sogenannten „Biohacking“.

Die bisherige Nutzung von Gentechnik hat globale Probleme wie bspw. Hunger und die Klimakrise nicht gelöst. Um diese Probleme wirklich zu lösen, müssen globale Ungleichheiten bekämpft werden, indem z.B. egalitäre Handelbeziehungen und -abkommen geschaffen werden. Ziel muss sein, die gegenwärtige Monopolstellung der Gentechnik einsetzenden Konzerne zu brechen. Das betrifft insbesondere die Hersteller*innen von Saatgut. Weiteren Diskussionsbedarf sehen wir im Bereich medizinischer Produkte.

Eine Umstellung des internationalen Handels- und Wirtschaftssystems sowie unserer Ess- und Anbaugewohnheiten ist nach wie vor notwendig. Jedwede Form der Gentechnik kann keine Begründung für Ausflüchte oder Vermeidung dieser Umstellungen sein.

In der roten Gentechnik stellen sich in Bezug auf CRISPR noch weitreichendere ethische und rechtliche Fragen und schwierigere Abwägungsentscheidungen. Wenn neue Technologien dazu geeignet sind, Krankheiten zu behandeln, so müssen Entscheidungen in der Gewichtung zwischen ethisch begründeten Grenzsetzungen und einem möglichen Nutzen für das Individuum getroffen werden. Eine Herausforderung liegt darin, Menschen, die sich gegen eine Behandlung mit gentechnischen Verfahren entscheiden, vor einer Stigmatisierung zu schützen. Umso größer muss unser Anliegen für eine fundierte, faktenbasierte, aber kritische wissenschaftliche Ausbildung im Bereich der Gentechnik sein. Der akademischen Lehre in öffentlicher Hand kommt hierbei eine besondere Aufgabe zu.

Gene-Editing ist keine Wundertechnologie. CRISPR ist jedoch eine Technik mit sehr breitem Potenzial, deren Möglichkeiten einzeln erörtert und debattiert werden muss. Ein generelles, noch dazu nationales, Verbot würde dieser Vielfalt nicht gerecht. Stattdessen plädieren wir für eine intensive Untersuchung und Einzelbetrachtung der Anwendungs¬beispiele auf wissenschaftlicher Basis, stets in Verantwortung vor Mensch, Tier und Umwelt. Angesichts der internationalen Verflechtungen sind politische Maßnahmen auf europäischer und internationaler Ebene notwendig.

Beschluss der BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik – Berlin, 14.10.2018

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3 Kommentare

  1. Jürgen Bartz

    Liebe BAG WHT,

    ich bemühe mich seit Wochen, innerhalb der GRÜNEN darauf hinzuweisen, dass Crispr/Cas erhebliche Dual-Use-Risiken mit sich bringt. Aus eurem Positionspapier geht deutlich hervor, dass auch Ihr diese Aspekte nicht wirklich auf dem Zettel habt. Im Kern geht es darum, dass sich in Deutschland auf politischer Ebene noch nicht herumgesprochen hat, dass die US-Geheimdienste – aus meiner Sicht aus guten Gründen – Crispr Cas als Massenvernichtungswaffentechnologie betrachten und seit 2016 zu den sechs größten Gefahren für die innere Sicherheit zählen, wobei die größte Gefahr von ausgebildeten WissenschaftlerInnen mit fragwürdigen Handlungsmotiven ausgeht. Ich bitte euch daher, eure Positionierung möglichst bald unter Berücksichtigung dieser Aspekte zu überarbeiten. Dazu mehrere Links:

    Ein Artikel über den Jahresbereicht des DNI aus dem Jahr 2016.https://www.technologyreview.com/s/600774/top-us-intelligence-official-calls-gene-editing-a-wmd-threat/?fbclid=IwAR3KztE9lkiQPCuMuTJvYzIwl4OHcA4rL-bPudFvEQ-e6Lov7lUdqA9pkF0

    Der Originalbericht des DNI: (in den Berichten 2017 und 2018 taucht das Thema wieder auf)
    https://www.dni.gov/files/documents/SASC_Unclassified_2016_ATA_SFR_FINAL.pdf?fbclid=IwAR3JWlqRNHJZ-wE4fIuI7qD83yJTYn8NmeF0d49tG4dS6Pky82_xDY5_Cu4

    Ein Telepolis-Artikel zur Biohacker-Szene aus 2016:
    https://www.heise.de/tp/features/Gentechnik-fuer-alle-3650595.html?seite=all&fbclid=IwAR0FTYtBvDzKnXaABwaRPl4xFm4QbqeQIT7nyBJkrNDOBQPabhdV990tLXU

    Ein Taz-Artikel zu staatlichen Forschungsprogrammen mit Bezug zur Massenvernichtungswaffenentwicklung:
    http://www.taz.de/!5542391/?fbclid=IwAR0XK3KMZNo-rp57WPW2sq8Axk8vbOogq5xg0UDhAv2_UzrSgDr07L0SbIE

    Es geht nicht, dass Ihr solch relevante Aspekte nicht berücksichtigt. Es ist dringend eine Neubewertung erforderlich, und zwar – mit Blick auf erforderliche Sicherheitsstandards – im Bereich der grünen UND der roten Gentechnik. Und was das Allererste ist, was aus meiner Sicht gefordert werden muss: Eine belastbare Gefahrenabschätzung als Grundlage einer besonnenen demokratischen Debatte.

    Viele Grüße
    Jürgen Bartz

  2. Jürgen Bartz

    Ich würde mir übrigens eine Überarbeitung wünschen BEVOR auf der bevorstehenden BDK über das Programm für die Europawahl abgestimmt wird in dem wir GRÜNEN uns auch zur Gentechnik neu positionieren.