Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschafts-, Hochschul- und Technologiepolitik von Bündnis 90 / Die Grünen vom 3.06.2000
1. Bündnis 90/Die Grünen treten nach wie vor Absichten entgegen, durch Gebühren soziale Barrieren für ein Hochschulstudium zu errichten. Dies ist auch ein erklärtes Ziel von Bündnis 90/Die Grünen und SPD auf Bundesebene. Wir müssen allerdings sehen: Mehrere Bundesländer hatten die Einführung von Studiengebühren ab dem 1. Semester angekündigt. In den Medien, den Hochschulen und der Politik wird seit langem über die Einführung von Studiengebühren diskutiert und vermehrt ihre Einführung gefordert. Ein bundesgesetzliches Verbot ist aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat derzeit nicht realisierbar.
Vor diesem Hintergrund bewertet die BAG den Beschluss der KultusministerInnenkonferenz zur Gebührenfreiheit des Hochschulstudiums vom 25. Mai 2000 als Teilerfolg, denn mit diesem wird das gebührenfreie Erststudium bis zum Diplom, Magister oder Master in ganz Deutschland mindestens bis zum 14. Semester bzw. bis zu einem Umfang von 30 % über der Pflichtsemesterwochenstundenzahl garantiert. Wir fordern deshalb die Länder auf, den KMK-Beschluss möglichst schnell in einen entsprechenden unbefristeten Staatsvertrag umzusetzen.
2. Die BAG lehnt die Einführung von Studiengebühren für so genannte “Langzeitstudierende” ab dem 15. Semester ab. Sie fordert alle Landesregierungen auf, solche Gebühren nicht einzuführen.
Für Studienverläufe, die länger als die Regelstudienzeit dauern, gibt es vielfältige Ursachen. U.a. kommen sie zu Stande durch
§ die Notwendigkeit für viele Studierende, sich den Lebensunterhalt neben dem Studium durch Erwerbsarbeit zu sichern, und zwar u.a. weil ein bedarfsgerechtes Studienfinanzierungssystem in Deutschland fehlt;
§ die Vielfalt der Lebensentwürfe, die die Wahrnehmung des Studiums als “Teilzeitstudium” mit entsprechend längerer Studienzeit sinnvoll erscheinen lassen;
§ die Unterfinanzierung vieler Studiengänge in den Hochschulen, die den Besuch von Seminaren und Praktika nur nach Wartezeiten oder unter mangelhafter Begleitung durch Lehrende und TutorInnen ermöglicht;
§ eine halbherzig durchgeführte Studienreform, die zu einer Überfrachtung der Prüfungsordnungen, zu geringen Praxisanteile im Studium und zu aus hochschuldidaktischer Sicht nicht wünschenswerten Prüfungsformen geführt hat;
§ die unzureichenden Beratungs- und Betreuungsangebote der Hochschulen, die es den Studierenden schwer macht, ihr Studium zügig und strukturiert durchzuführen.
Die Einführung von Studiengebühren ab dem 15. Semester ist daher nichts anderes als der bequeme Versuch, die Schuldzuweisung für die genannten Versäumnisse an die Gruppe der sog. “Langzeitstudierenden” zu delegieren.
3. Die BAG sieht die Herausforderung, eine bessere Ressourcensteuerung im Hochschulwesen zu erreichen und zu diesem Zweck Anreize zu schaffen, ein inhaltlich breit angelegtes und gleichzeitig strukturiertes Studium zu ermöglichen, durch das unnötige Studienzeitverlängerungen (s. Punkt 2) verringert werden sollen.
Die BAG sieht außerdem, dass im Zuge der Entwicklung zum lebensbegleitenden Lernen die Grenzen zwischen der Erstausbildung und dem zunehmend gebührenpflichtigen Weiterbildungsbereich stärker fließend werden. Es ist daher notwendig, beide Bereiche und die damit verbundenen Finanzierungsfragen in einer Gesamtsicht – nicht nur beschränkt auf den Bereich des Hochschulwesens – zu betrachten und zu bewerten.
Das Studienkontenmodell nimmt für sich in Anspruch, zu beiden Aspekten einen sinnvollen Beitrag zu liefern. Gegenüber diesem Modell gibt es in der BAG ernste Bedenken, die insbesondere
§ Fragen der Kontingentierung und Ökonomisierung von Bildung generell,
§ die Gefahr der inhaltlichen Verengung des Studiums und
§ den mit dem Modell verbundenen Verwaltungsaufwand
betreffen.
Die BAG hält es aber für notwendig, die Diskussion grundsätzlicher Leitbilder von Studium, Hochschule und des Selbstverständnisses der Studierenden vor dem Hintergrund der sich rasant verändernden gesellschaftlichen Situation, insbesondere des immer stärker spürbaren Trends zum “lebensbegleitenden Lernen”, aufzunehmen. Dabei werden wir auch zu Bildungs- und Studienkonten eine Position formulieren.
4. Die Hochschul- und Studierendenfinanzierung, aber auch die Bildungsfinanzierung insgesamt, bedarf in Deutschland dringend eines Gesamtkonzepts. Die BAG fordert deshalb die Bundesregierung auf, die im Rahmen der BAföG-Sanierung im Januar 2000 vereinbarte ExpertInnenkommission “Bildungsfinanzierung” nunmehr einzusetzen. Eine der Grundlagen für ihren Arbeitsauftrag sollte die im KMK-Beschluss vom 25. Mai 2000 als Grundsatz festgehaltene Gebührenfreiheit zumindest des Erststudiums sein.
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