Beitrag der Hochschul- und Forschungspolitik zu einer nachhaltigen Entwicklung – Positionspapier

Beschluss der BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik, Berlin, 19.4.2009

Beitrag der Hochschul- und Forschungspolitik zu einer nachhaltigen Entwicklung – Positionspapier

Die BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik (BAG WHT) von Bündnis 90/Die Grünen tritt dafür ein, nachhaltige Entwicklung zu einem Ziel der Hochschul- und Forschungspolitik zu machen. Hochschulen und Forschungseinrichtungen stellen einen Knotenpunkt für die Gestaltung einer zukunftsfähigen Wissensgesellschaft dar. Potenziale für eine Orientierung an nachhaltiger Entwicklung finden sich dabei in Forschung und Lehre ebenso wie in der konkreten baulichen und sozialen Gestaltung der Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

Die Orientierung an nachhaltiger Entwicklung ist Teil der gesellschaftlichen Verantwortung aller WissenschaftlerInnen. Auch in den Forschungsstrukturen und in der Forschungsförderung müssen Nachhaltigkeitsaspekte verstärkt berücksichtigt werden. Zudem sollte Forschung für die Nachhaltigkeit als dezidiertes Forschungsthema gesetzt und gefördert werden. Gute Nachhaltigkeitsforschung braucht Interdisziplinarität und kann nicht auf technokratische Lösungsversuche reduziert werden. Forschung für die Nachhaltigkeit muss in die Gesellschaft hinausgreifen und bietet zugleich Ansatzpunkte für ein Ineinandergreifen von Lehre und Forschung.

In der Hochschullehre stellt Bildung für eine nachhaltige Entwicklung einen integrativen Baustein dar, der als Element von Studiengängen oder als Teil eines fächerübergreifenden Studium Generale umgesetzt werden kann und der Lehre, Forschung und Gesellschaft vernetzen kann. Zugleich müssen die Möglichkeiten genutzt werden, die der Bologna-Prozess für dezidierte problemorientierte Studiengänge und Weiterbildungsmodule im Bereich der Nachhaltigkeitswissenschaft bietet. Die soziale und globale Dimension von Nachhaltigkeit muss in der Lehre berücksichtigt werden.

Als konkrete Orte nachhaltiger Entwicklung kommt Hochschulen und öffentlichen Forschungseinrichtungen eine besondere Vorbildfunktion zu. Dies gilt in besonderem Maße für Hochschulen als Orte der Sozialisation des akademischen Nachwuchses. Zur nachhaltigen Gestaltung der Hochschulen müssen existierende Ansätze – etwa Umweltmanagementsysteme oder an Nachhaltigkeit orientierte Zeitpolitiken – umgesetzt werden. Hochschulen können ein Ort des Experiments mit innovativen Lösungen sein. Im Rahmen eines „green new deal“ bietet es sich an, in die energetische Sanierung von Hochschulgebäuden und Forschungseinrichtungen zu investieren.

1. Warum nachhaltige Entwicklung als Thema der Hochschulpolitik?

Nachhaltigkeit verstehen wir als wünschenswerten gesellschaftlichen Zielzustand, der sich dadurch auszeichnet, dass ökologische, ökonomische und soziale Ressourcen und Handlungsspielräume für zukünftige Generationen erhalten werden. Dazu gehört, dass prinzipiell nur erneuerbare Ressourcen verwendet werden – nicht erneuerbare nur in dem Maße, wie sie durch erneuerbare ersetzt werden könnten. Ebenso begreifen stellt das Vorsorgeprinzip – nicht zuletzt als Leitlinie für Maßnahmen, die in komplexe, noch nicht voll verstandene Systeme eingreifen – für uns ein Element eines an Nachhaltigkeit orientierten politischen Handelns dar. Die Zielsetzung der Nachhaltigkeit und die Strategie nachhaltiger Ent­wicklung als Weg dorthin ist mit einem doppelten Gerechtigkeitsbegriff verknüpft. Zu dieser Gerechtigkeit zwischen den Generationen kommt im Sinne nachhaltiger Entwicklung die Gerechtigkeit zwischen den gleichzeitig lebenden Menschen. Damit ist das Verhältnis zwischen Nord und Süd ebenso wie Fragen der Geschlechtergerechtigkeit oder der sozialen Ungleichheit in einer Gesellschaft gemeint.

Die Hochschul- und Forschungspolitik an einer nachhaltigen Entwicklung zu orientieren, entspricht der Programmatik, die Bündnis 90/Die Grünen seit ihrer Gründung entwickelt haben. Genannt sei hier exemplarisch der Beschluss „Green the future“ zur Forschungs- und Technologiepolitik, den die BAG WHT im Jahr 2001 gefällt hat. Aber auch aus Hochschulen selbst wird das Thema Nachhaltigkeit seit den 1990er Jahren angesprochen. Beispiele dafür sind die Talloires Declaration (1990), die inzwischen von über 300 Hochschulen aus ganz Europa unterstützte COPERNICUS-Charta der Europäischen Rektorenkonferenz, das Memorandum Hochschule neu denken der Gruppe 2004 oder die Lübecker Erklärung „Hochschulen und Nachhaltigkeit“ (2005). Dass Bildung für nachhaltige Entwicklung auch in der europäischen Hochschulpolitikangekommen ist, lässt sich beispielsweise an der UNECE Strategy for Education for Sustainable Development (2005) ablesen.

Die aktuellen globalen Krisen und Veränderungen – der Klimawandel ebenso wie die Finanzkrise – bieten einen Anlass dafür, darzustellen, welchen Beitrag die Hochschul- und Forschungspolitik für eine zukunftsfähige Entwicklung leisten kann. Hinzuweisen ist zudem auf die UNESCO-Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, die noch bis 2014 läuft und das Ziel hat, Anstrengungen von Bildungseinrichtungen – und eben auch Hochschulen – für nachhaltige Entwicklung zu unterstützen.

Die Hochschul- und Forschungspolitik gestaltet den Wandel hin zur Wissensgesellschaft aktiv mit und beeinflusst über die Innovations- und Forschungsförderung auch die technologische Entwicklung der Gesellschaft. Hochschul- und Forschungspolitik ist damit stärker als andere Politikfelder an Zukunft orientiert. Insofern behält die Forderung der BAG WHT aus dem Jahr 2001, Forschungs- und Technologiepolitik als Hebel für einen ökologischen – oder weiter gefasst: für einen in Richtung Nachhaltigkeit orientierten – Umbau der Gesellschaft zu verstehen, ihre Gültigkeit. Weiterhin gilt, dass Innovations- und Forschungsförderung nicht alleine an Wettbewerbsfähigkeit aus­gerichtet sein darf, sondern dass Technologieförderung, Vorsorgeforschung und Risiko­analysen als gleichberechtigte Elemente der Forschungspolitik angesehen werden müssen. Eine kritische Reflexion technischer Entwicklung muss mitlaufend ermöglicht werden, Technikentwicklung und Technologieförderung sollen an menschlichen Be­dürfnis­sen ausgerichtet werden und vielfältige gesellschaftliche Entwicklungspfade offen halten. Eine rein technologisch orientierte Ausrichtung von Umweltforschung wird abgelehnt, vielmehr muss Umwelt- und Nachhaltigkeitsforschung interdisziplinär angelegt sein und ebenso auf sozial- und geisteswissenschaftliche Erkennt­nis­gewinnungs­prozesse zurückgreifen. Hingewiesen wird in dem Beschluss aus dem Jahr 2001 schließlich auf das Dreieck aus Innovationsfähigkeit, freiem Zugang zu Wissen und einem engagierten und neugierigen wissenschaftlichen Nach­­wuchs, der entsprechende hochschulpolitische Rahmenbedingungen voraussetzt.

Hochschulen und Forschungseinrichtungen als Knotenpunkt nachhaltiger Entwicklung

Hochschulen und Forschungseinrichtungen stellen damit einen Knotenpunkt dar, in dem eine Orientierung der Hochschul- und Forschungspolitik an nachhaltiger Entwicklung in mehrfacher Hinsicht zusammenkommt. Systematisch kann unterschieden werden zwischen 1. der an Hochschulen und Forschungseinrichtungen stattfindenden Forschung, 2. dem Beitrag, den die an Hochschulen stattfindende Lehre für eine Weiterverbreitung der Idee einer nachhaltigen Entwicklung leisten kann und 3. der Gestaltung der Organisation und des Ortes Hochschule selbst. Zudem stellt sich die Frage nach dem Zusammenspiel von Hochschulen/Forschungseinrichtungen und Gesellschaft, also nach der Transferfunktion von Wissenschaft und Forschung.

So umfasst beispielsweise das Aktionsprogramm der COPERNICUS-Charta 10 Punkte, u.a. geht es um die Selbstverpflichtung der Hochschule für Nachhaltigkeit, um umweltverantwortliches Handeln von Hoch­schule und Hochschulangehörigen, um die Ökologisierung von Lehre und Forschung und um Interdisziplinarität und den Austausch mit der Gesellschaft. Dieses sind sinnvolle und richtige Forderungen. Wie weit diese tatsächlich von allen Unterzeichnerhoch­schulen umgesetzt werden, muss allerdings in Frage gestellt werden. Oft ist das Etikett „nachhaltige Hochschule“ im Lern-, Lehr- und Forschungsalltag einer Hochschule kaum spürbar. Die Solaranlage auf dem Hochschuldach oder die organisationsweit umgesetzte Umweltzertifizierung sind wichtige Schritte, lassen aber eine Integration von Nachhaltigkeit in Forschung und Lehre vermissen. Es ist unrealistisch, zu erwarten, dass jede Hochschule sich in ihrer Profilierung insgesamt ökologisiert. Ohne die Freiheit von Forschung und Lehre und den Stellenwert akademischer Selbstverwaltung in Frage stellen zu wollen, stehen die überwiegend öffentlich finanzierten Hochschulen ebenso wie öffentlich geförderte Forschungseinrichtungen jedoch in einer besonderen Verantwortung für eine zukunftsfähige Entwicklung der Gesellschaft. Daraus ergibt sich die Forderung nach einem Mindestanspruch für eine Orientierung an nachhaltiger Entwicklung, der von allen Hochschulen und allen öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen erfüllt werden sollte.

Wichtig für eine über eine bloße Etikettierung hinausgehende Orientierung von Hochschul- und Forschungspolitik an nachhaltiger Entwicklung in diesem Sinne ist es, alle Aspekte (Forschung, Lehre, Hochschule als Lebensort) zu berücksichtigen und ebenso die Querbezüge, die sich jeweils zwischen diesen Aspekten entwickeln, in den Blick zu nehmen. Als BAG WHT möchten wir mit den folgenden Thesen zeigen, welchen Beitrag die Hochschul- und Forschungspolitik für eine nachhaltige Entwicklung in den genannten Feldern im Sinne eines derartigen Mindeststandard leisten kann. Nicht explizit ausgeführt ist ein vierter Aspekt: die Bedeutung, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen für den Transfer nachhaltiger Ideen, Technologien und Praktiken in die Gesellschaft haben, und umgekehrt das Potenzial, das nachhaltige Lehre und Forschung dafür bietet, Hochschulen und Gesellschaft füreinander zu öffnen.

2. Nachhaltigkeit in der Forschung – Forschung für mehr Nachhaltigkeit

Die Forschung an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen hat einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Erreichung des Nachhaltigkeitsziels. Naturwissenschaftliches wie sozialwissenschaftliches Grundlagenwissen und die sich daraus ergebende angewandte Forschung, neue Technologien und soziale Innovationen bilden die Basis für den Weg zu einer aufgeklärten nachhaltigen Gesellschaft. Dabei ist sowohl die dezidierte Nachhaltigkeitsforschung angesprochen als auch die Verankerung der gesellschaftlichen Verantwortung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für nachhaltige Entwicklung in allen Forschungsfeldern, also die Nachhaltigkeit als Querschnittsthema in der Forschung.

Nachhaltigkeit als Verantwortlichkeit aller WissenschaftlerInnen …

Die Orientierung an nachhaltiger Entwicklung ist Teil der gesellschaftlichen Verantwortung aller WissenschaftlerInnen. So muss das Forschungssystem im Hinblick auf die soziale Organisation von Forschung selbst nachhaltig werden und bei allen Forschungsfragen und Beratungsaufgaben in natur- und ingenieurwissenschaftlichen wie in gesellschaftswissenschaftlichen Fächern muss derEnergie- und Ressourcenverbrauch mit betrachtet werden. Nachhaltigkeit ist damit ein Querschnittsthema, das alle Fachgebiete in unterschiedlichem Umfang betrifft. Eine auf nachhaltige Entwicklung ausgerichtete Forschungs- und Technologiepolitik muss dies in allen Förderprogrammen und bei der Ausgestaltung von Forschungsstrukturen berücksichtigen. Dies darf sich nicht auf Natur- und Ingenieurwissenschaften beschränken, sondern muss geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung ebenso wie interdisziplinäre Ansätze besonders berücksichtigen. Diese Notwendigkeit wird besonders deutlich, wenn die globale und die gerechtigkeitsbezogene Perspektive berücksichtigt wird, die dem Konzept nachhaltiger Entwicklung inhärent ist. Im Zusammenspiel ökologischer und gesellschaftlicher Dimensionen ist in der Zielsetzung nachhaltiger Entwicklung per se schon die Notwendigkeit von Interdisziplinarität angelegt. Zum Querschnittsthema Nachhaltigkeit in der Forschung gehört auch der reflektierte Umgang mit den sich aus der Forschung und ihren Ergebnissen ergebenden Risiken, und – soweit dies möglich ist – eine Orientierung des Forschungsprozesses selbst an Standards ökologischen Handelns (etwa hinsichtlich des Umgangs mit Rohstoffen oder Energie).

… und dezidierte Nachhaltigkeitsforschung

Zudem sollte Forschung für die Nachhaltigkeit als dezidiertes Forschungsthema gesetzt und gefördert werden. Für die Forschungspolitik ergibt sich daraus vor allem die Notwendigkeit, über den bestehenden Umfang hinaus durch Förderprogramme und die Drittmittelforschung auf allen Ebenen Anreize für Nachhaltigkeitsforschung zu setzen. Ebenso kann die Berücksichtigung nachhaltiger Entwicklung als Forschungsthema zu einem Element von Zielvereinbarungen und Strukturempfehlungen und ‑entscheidungen werden. Eine sinnvolle Nachhaltigkeitsforschung kann sich dabei nicht auf technologische Innovationen beschränken. Implementierungs- und Akzeptanzfragen, letztlich auch das ganze Feld sozial-ökologischer Zusammenhänge machen deutlich, dass Nachhaltigkeitsforschung vielfach und zu einem hohen Maße eben auch geistes- und sozialwissenschaftliche Forschung – z. B. auch Genderforschung – ist.

Nachhaltigkeitsforschung als eine sich aus gesellschaftlicher Verantwortung heraus ergebende Forschung ist darüber hinaus – und auch dies sollte ein Kriterium der forschungspolitischen Anreizsetzung sein – in einem besonderen Maße darauf angewiesen, Forschungsergebnisse zu kommunizieren und unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen in Forschungsprozesse einzubeziehen. Als komplex vernetztes Forschungsfeld mit starken Anwendungsbezügen eröffnet Nachhaltigkeitsforschung zudem Chancen für eine sinnvolle Verknüpfung von Forschung und Lehre.

3. Bildung für nachhaltige Entwicklung an Hochschulen

Die Orientierung an Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Forschungsthema, sondern insbesondere auch ein hochschulpolitisches Thema im engeren Sinne. Hier ist zuerst einmal die Frage angesprochen, wie Hochschulen zur Bildung für nachhaltige Entwicklung beitragen können und welche Funktion sie als Bildungsorte hier einnehmen können. Eine besondere Herausforderung, aber auch eine Chance dafür, Module zur nachhaltigen Entwicklung in die Lehre zu integrieren, stellt dabei der Bologna-Prozess dar.

Nachhaltigkeit als integrativer Baustein in der Lehre

Im Sinne der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ sollte die Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit Bestandteil jeglicher Hochschullehre sein. Wie in der „Lübecker Erklärung“ vorgeschlagen, sehen wir Nachhaltigkeit nicht als zusätzlichen „Lernstoff“ an, sondern idealerweise als integrativen Baustein, der Interdisziplinarität und akademische Verantwortlichkeit vermitteln kann. Das Ziel, Nachhaltigkeit in die Lehre einzubinden, bedeutet demzufolge auch, über Lehr- und Lernstrukturen und die Qualität der Lehre generell nachzudenken: wo können derartige Elemente einer umfassenden Bildung ihren Platz in den häufig vollgestopften Bachelor- und Masterstudiengängen finden?

Die Lübecker Erklärung schlägt vor, die Akkreditierung von Studiengängen auch daran zu koppeln, ob Nachhaltigkeit dort in sinnvoller Weise vorkommt. Dies könnte ein gangbarer Weg dafür sein, Bildung für nachhaltige Entwicklung in Hochschulen zu verankern. Aber auch als Element eines studiengangsübergreifenden, verpflichtenden „Studium Generale“ bietet sich die Verankerung von Nachhaltigkeit in der Lehre an. In beiden Fällen gilt, wie auch bereits bei der Forschung angesprochen, die Notwendigkeit interdisziplinärer Vernetzung – dafür kann Bildung für nachhaltige Entwicklung einen Ankerpunkt darstellen – und die besonders gute Eignung für anwendungs- und gestaltungsorientierte Lehrforschungsprojekte. Dies gilt gerade auch im Sinne der Hochschule als Ort der Nachhaltigkeit (s.u.). Die problemlösungsorientierte Perspektive der Nachhaltigkeitsforschung an, um Studium und Lehre eng miteinander zu verzahnen, und neue Lehr- und Lernformen ermöglichen.

Möglichkeiten des Bologna-Prozesses für problemorientierte Studiengänge nutzen

Parallel zur Integration von Nachhaltigkeit in das Hochschulstudium insgesamt erscheint uns die politische Unterstützung spezieller Studiengänge (und Studienbereiche) wichtig, die dezidierte Fähigkeiten in der disziplinären und interdisziplinären Nachhaltigkeitsforschung vermitteln. Die tendenzielle Entkopplung wissenschaftlicher Disziplinen von Studiengängen, die einen Effekt des Bologna-Prozesses darstellt, wie er in Deutschland umgesetzt wird, bietet hier Chan­cen für die Etablierung spezialisierter Bachelor- und Masterstudiengänge und Promotionskollegs. Hier – wie auch bei der Frage der Integration von Bildung für nachhaltige Entwicklung in die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer – ist zu prüfen, wie weit übergreifende Curricula und bundesweite Rahmenbedingungen notwendig sind. Ebenso können Hochschulen nachhaltigkeitsorientierte und berufsbegleitende Weiterbildungen anbieten.

Die globale Dimension nachhaltiger Entwicklung in der Lehre

Es wäre zu kurz gesprungen, Nachhaltigkeit nur ökologisch zu diskutieren. Insbesondere auch die globale Komponente von Nachhaltigkeit, die Dimension der Nord-Süd-Gerechtigkeit, muss unterstützt werden. Dies kann auf inhaltlicher Ebene geschehen, aber auch institutionell durch entsprechende Vernetzungen und Partnerschaftsprogramme. Beispielsweise wäre die Arbeit des DAAD unter diesem Gesichtspunkt zu überprüfen.

4. Hochschulen als konkrete Orte nachhaltiger Entwicklung

Bezogen auf Hochschulen als nachhaltige Studien-, Lebens- und Arbeitsorte können eine ganze Reihe konkreter Forderungen aufgestellt werden, die sich sowohl an die Hochschule als Arbeitgeber und Großorganisation richten wie auch an die Studierendenwerke. Den Studierendenwerken kommen dabei nicht nur beim möglichst regional beschafften Bio-Essen in der Mensa und beim fair gehandelten Kaffee wichtige Kompetenzen zu, sondern insbesondere im Sinne eines Nachhaltigkeitsmanagements zusammen mit Hochschulleitung, akademischen Gremien und Studierendenvertretung.

Vorbildfunktion und Ort der Sozialisation

Hoch­schu­­len als große Arbeitgeber und zumeist öffentliche Einrichtungen haben nicht nur große Umwelteffekte, sondern auch eine Vorbildfunktion. Dies betrifft insbesondere die Selbstverständlichkeit nachhaltiger Praktiken in der Sozialisation junger Aka­demikerInnen. Hier bieten sich vielfache Anknüpfungspunkte für eine Vernetzung der konkreten Gestaltung von Hochschulorten mit Nachhaltigkeit in Forschung und Lehre.

Etablierte Systeme umsetzen, neue Lösungen entwickeln und ausprobieren

Eine ganze Reihe von Forderungen bezüglich einer nachhaltigen Gestaltung betreffen den Arbeits- und Studiumsbetrieb in der Hochschule (und natürlich ebenso die Arbeit in großen Forschungseinrichtungen). Hier kann auf etablierte Umweltmanagement- und Zertifizierungssysteme zurückgegriffen werden. Gleichzeitig bieten Hochschulen vielfach Spielräume für das Erproben innovativer Lösungen. Konkrete Nachhaltigkeit an der Hochschule fängt an beim verantwortlichen Umgang mit Abfall, Rohstoffen, Wasser und Energie und reicht über den Arbeits- und Gesundheitsschutz bis zu Fragen der Zeitgestaltung und der sozialen Verträglichkeit nachhaltiger Arbeit und nachhaltigen Lernens (-> familienfreundliche Hochschule). Als häufig große Gebäude haben Hochschulen ein hohes Potenzial sowohl für Energieeinsparmaßnahmen – auch im Modus des Contracting – wie auch für die Aufstellung etwa von Photovoltaikanlagen. Gleiches gilt für Studierendenwohnheime und Mensen.

Zur praktizierten Nachhaltigkeit an Hochschulen gehört nicht zuletzt eine Politik der kurzen Wege im Sinne einer an ÖPNV, Fahrrad und FußgängerInnen ausgerichteten Raumplanung von Hochschulstandorten und der politische Unterstützung von Semestertickets. Wie schon bei den zuvor genannten Punkten überschneiden sich hier hochschulpolitische und umweltpolitische Forderungen und die Handlungsmöglichkeiten öffentlicher Verwaltungen bezogen auf Gebäudemanagement und ‑technik.

Ein „green new deal“ für ökologischere Hochschulbauten

Im Politikfeld Hochschulbau ist damit ein „green new deal“, wie er derzeit vielfach diskutiert wird, besonders sinnvoll. Die im Konjunkturpaket enthaltenen Investitionen für die energetische Sanierung und gebäudetechnische Aufrüstung der an vielen Hochschulstandorten maroden Gebäude setzen wirtschaftliche Anreize und tragen damnt zur Zukunftsfähigkeit der Hochschulen bei. Wichtig ist es, dass diese Mittel tatsächlich für den state of the art nachhaltiger Bautechnik und Sanierung verwendet werden.

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