Bundestagsrede zum Haushaltsplan Epl. 30 Bildung, Forschung und Technifolgenabschätzung

von Kai Gehring MdB im Plenum des Deutschen Bundestages am
14.09.2010

Rede zum Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
von Kai Gehring MdB im Plenum des Deutschen Bundestages am 14.09.2010

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wer heute nur halbherzig in bessere Bildung investiert, wird morgen Fachkräfte- und Akademikermangel sowie soziale Folgekosten ernten. Ich glaube, da sind wir Bildungspolitiker uns einig. Obwohl Ministerin Schavan bei diesem Haushalt und beim unsozialen schwarz-gelben Spardiktat trotz Blessuren einigermaßen ungeschoren davonkommt, haben die Leute in diesem Land das Gefühl, dass viele Milliarden Euro für starke Lobbygruppen fließen – von den AKW-Betreibern bis hin zur Pharmaindustrie –, aber für Bildung und Hochschulen, für Zukunftsinvestitionen nach wie vor nicht genug Geld vorhanden ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Menschen haben zu Recht dieses Gefühl: Den Schülern fehlen Lehrer und individuelle Förderung. Die Eltern pochen auf bessere Lernbedingungen. Die Auszubildenden werden in Warteschleifen geparkt. Studierende warten vergeblich auf zusätzliche Studienplätze und auf Korrekturen beim Bologna- Prozess. Bei der Weiterbildung bleiben wir bildungspolitisches Entwicklungsland. – Das ist die reale Mangelsituation in der vermeintlichen, immer wieder vollmundig angekündigten „Bildungsrepublik Deutschland“.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Man kann sagen, dass jeder zusätzliche Cent für die Bildung gut angelegt ist, wenn die Strukturen, die Qualität und die Priorität stimmen. Schwarz-Gelb setzt aber die falschen Prioritäten: Die starken Schultern werden gestärkt, die schwachen Schultern werden geschwächt. Das Symbol schlechthin für diese verfehlte Bildungspolitik ist das Deutschlandstipendium, das nationale Stipendienprogramm: in Zahlen gegossene Klientelpolitik à la FDP und CDU/CSU. Das muss man so deutlich sagen. Auch wenn das Deutschlandstipendium über die Sommerpause offensichtlich zum Gartenzwergprogramm geschrumpft ist, privilegieren Sie damit die Privilegierten in diesem Land.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Ein soziales Finanzierungssystem!)

Wir werden in ein paar Jahren hier diskutieren und erkennen: Es ist leider nicht gelungen, das, was die OECD von uns erwartet, umzusetzen: Mit dem Programm werden nicht reihenweise Bildungstalente aus bildungsfernen Schichten gewonnen; es wird keine gerechtere Teilhabe organisiert.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Miesepetrige Argumentationen!)

Worin besteht eigentlich der volkswirtschaftliche Nutzen – er ist Ihnen von der FDP immer besonders wichtig –, wenn Sie diejenigen fördern, die sowieso studieren würden? Das bringt jedenfalls keine höheren Akademikerquoten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: Deutschland schlechtreden! Studierende schlechtreden!)

Die mickrige BAföG-Erhöhung hängt dagegen in der Warteschleife. Hier geht es um die bedürftigen Studierenden, um Bildungsaufsteiger gerade auch aus Arbeiter- und aus Migrantenfamilien, die oftmals die ersten in ihrer Familie sind, denen der Zugang zur Hochschule gelingt. Sie gehen möglicherweise leer aus. Wir Grüne wollen nicht, dass am Ende die Botschaft ist: Mittel für Elitestipendien abgesegnet; BAföG auf Eis gelegt. Das wäre unerträglich. Dass heute Abend im Vermittlungsausschuss überhaupt dieses BAföG-Gefeilsche stattfindet, ist doch – das muss man ganz klar sagen – eine Folge des monatelangen Missmanagements von Frau Schavan, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]) die auf mehreren Bildungsgipfeln die Chance gehabthätte, zwischen Bund und Ländern zu verabreden: Ja, die BAföG-Erhöhung kommt. Sie hätte gewaltiger ausfallen können, wenn man den Quatsch mit dem nationalen Stipendienprogramm gelassen hätte, (Patrick Meinhardt [FDP]: Linke Blockadepolitik!) aber diese Bildungsgipfel sind sowieso eine Serie des Scheiterns gewesen und keine Serie des beherzten Handelns oder Lösens der Bildungsmisere in unserem Land; deshalb diese schlechte Bilanz. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Wer Arbeiter- und Migrantenkinder wirklich zu Bildungsaufsteigern machen will, der muss die Hörsaaltüren weit öffnen, der muss junge Menschen einladen, der muss alle Hürden vor diesen Türen entfernen, statt diese Türen zuzuschlagen.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Wir laden das Arbeiterkind zum Stipendium ein! Das ist das, was Sie nie geschafft haben!)

Die Zahl der Studienanfänger ist gestiegen. Darüber können wir uns gemeinsam freuen; aber das reicht nicht. Die Absolventinnen- und Absolventenzahlen sind nach wie vor zu gering, um die künftig freiwerdenden Stellen für Hochqualifizierte zu besetzen. (Zuruf von der CDU/CDU: Ich denke, es gibt keine Stellen!) Das ist das Problem. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl um bescheidene 0,9 Prozent pro Jahr gestiegen, im OECD-Durchschnitt waren es 4,6 Prozent. Das heißt, wir sind bei weitem nicht schnell genug, und wir brauchen dringend mehr Dynamik und höhere soziale Mobilität in unserem Bildungs- und Hochschulsystem. Darum muss es jetzt gehen, weil der Bildungsaufstieg kein Hürdenlauf, kein Durchqueren eines Nadelöhrs bleiben darf. Das heißt für uns, dass wir in unserem Land eben keine Bildungschipkarte für Nachhilfeinstitute und Co aus dem Hause von Frau von der Leyen brauchen, (Zuruf von der SPD: Ja!) sondern wir brauchen die besten Bildungsinstitutionen und Infrastrukturen, von der Kita über die Schule bis Seite 4 zum dualen Ausbildungsbereich, der Hochschule und der Weiterbildung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Mit einer Verbesserung der Bildungsinstitutionen und -infrastruktur lässt sich Bildungsarmut zielgenau bekämpfen durch kluge Maßnahmen wie Mittagessen für alle. Darum sollten Sie sich kümmern und nicht um Chipkarten, die wohl sowieso nicht funktionieren. Es muss einen wirksamen Hochschulpakt geben, der deutlich mehr Studienplätze schafft und die Lehr- und Studienbedingungen verbessert. Es muss Korrekturen der Bologna-Reform geben, um ein gutes Studium für alle zu ermöglichen.
(Patrick Meinhardt [FDP]: Das sieht man an der verkorksten Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen!)

Wir brauchen keine Deutschlandstipendien, wir brauchen keine Studiengebühren, sondern wir brauchen die überfällige BAföG-Erhöhung und eine insgesamt bessere Studienfinanzierung. Dann können wir ernst damit machen, dass eine Chance auf Bildungsaufstieg für alle ein zentrales Anliegen in unserem Land ist. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit und der Integration. Das ist der beste Weg im Umgang mit dem Fachkräfte- und Akademikermangel. Darum muss es jetzt gehen. Wenn man den Haushalt von Schwarz-Gelb für den Bildungsbereich näher betrachtet, stellt man fest, dass er eine traurige Leistung ist. Man sieht nämlich, dass Sie die Zukunftsfragen wieder einmal verschlafen und das Gemeinwohl ignorieren. Mit dem vorliegenden Haushalt setzt Schwarz-Geld wieder einmal die falschen Prioritäten.

Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Kai Gehring, MdB
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