Rede zum Nationalen-Stipendienmodell und zur 23. BAföG-Novelle

von Kai Gehring MdB im Plenum des Deutschen Bundestages 07.05.2010

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

 Wir diskutieren hier heute über ein von Schwarz-Gelb vorgelegtes Studienfinanzierungspaket. Das ist ein Paket, bei dem ich als Studierender sagen würde: Annahme verweigert; denn es geht an den Empfängern dieses Paketes, an dem Finanzierungsbedarf der Studierenden ganz klar vorbei.

 (Patrick Meinhardt [FDP]: Es trifft sogar in die Mitte!)

Dieses Finanzierungspaket ist unausgewogen, es setzt die falschen Prioritäten und es bringt weniger statt mehr Bildungsgerechtigkeit.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Ihre mickrige BAföG-Erhöhung um 2 Prozent entspricht 12 Euro, wenn man den Höchstsatz erhält. Dafür kann man eine halbe Stunde im Uni-Copyshop ein Fachbuch kopieren. Dann ist das Geld aufgebraucht.

 

Diese mickrige BAföG-Erhöhung verblasst völlig im Schatten Ihres monströsen nationalen Stipendienprogramms.

 

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Sie wollen 300 Millionen Euro an Steuermitteln für Elitestipendien aufwenden. Wir sagen: Geben Sie dieses Geld ins BAföG! Klotzen statt kleckern müssen Sie.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

 

Mit diesen 300 Millionen Euro könnte man das BAföG sofort um mindestens 5 Prozent erhöhen, sowohl bei den Bedarfssätzen als auch bei den Freibeträgen. Vor lauter Gerede über Spitze, Elite und Exzellenz dürfen Sie die Breite nicht vergessen, Frau Schavan und liebe FDP.

 

Ich sage Ihnen ganz deutlich, warum dieses nationale Stipendienprogramm Murks und Mumpitz ist. Erstens bringt es den Studierenden keinen Gewinn. Elitestipendien für wenige können eine verlässliche Studienfinanzierung für alle mit klaren Rechtsansprüchen nicht ersetzen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Zurufe von der FDP: Sie sollen sie auch gar nicht ersetzen!)

 

Wenn man NRW als Blaupause für den Bund nimmt, dann muss man sehen, dass dort lediglich 0,4 Prozent aller Studierenden ein NRW-Stipendium bekommen. Das ist doch lächerlich. Es ist ein schlechter Witz. Dabei kann man doch nicht von Verlässlichkeit reden.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Meinhardt [FDP]: Sie schüren Sozialneid!)

 

Das 10-Prozent-Ziel ist angesichts der 0,4 Prozent in NRW völlig illusionär. Im Übrigen sind es Kurzzeitstipendien, die für zwei Semester gewährt werden. Das ist ein Jahr. Hurra! Das ist ja eine enorme Zukunftsperspektive für die jungen Leute, vor allem, wenn man das Stipendium verliert, wenn man den Studienort wechselt.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

 

Das muss man sich mal vorstellen. Es ist schlicht mobilitätsfeindlich. Offensichtlich haben Sie aus den Bologna-Debatten nichts gelernt. Aus der Sicht der Studierenden ist das eine reine Luftnummer.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

 

Zweiter Kritikpunkt: Die sozialen Schieflagen werden verschärft.

 

(Patrick Meinhardt [FDP]: Falsch!)

 

Sie können noch so oft sagen, das Stipendienprogramm sei sozial. Dass Sie sagen, die Stipendienvergabe orientiere sich nur an Leistung und Begabung, ist eine der großen schwarz-gelben Lebenslügen. Das ist falsch. Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass auch Habitus und soziale Herkunft maßgeblich mit darüber entscheiden, ob man in den Genuss eines Stipendiums gelangt. Insofern privilegieren Sie besonders chancenreiche Studierende aus einkommensstarken Akademikerfamilien, statt endlich das zu tun, was notwendig ist, nämlich den an den Hochschulen unterrepräsentierten Gruppen den Weg auf den Campus zu ebnen.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Patrick Döring [FDP]: Aber die Hochschulen entscheiden doch über die Vergabe!)

 

Deshalb schlagen wir ein Stipendien-Sonderprogramm vor, um gezielt gerade den unterrepräsentierten Gruppen ein Angebot zu machen, statt eine FDP-Klientelpolitik zu betreiben.

 

(Patrick Meinhardt [FDP]: So wird absolutes Misstrauen gegen Hochschulen geschürt!)

 

– Danke, Herr Meinhardt. Wo Sie gerade die Hochschulen ansprechen: Die Hochschulen werden mit diesem Gesetz schlichtweg überfordert. Ich weiß nicht, mit welchen Uni-Rektoren Sie gesprochen haben.

 

(Patrick Meinhardt [FDP]: Mit sehr vielen!)

 

Mir sagen sie immer, dass sie wohl bald vom Rotary Club zum Lions Club tingeln müssen, um zu versuchen, Stipendien für 8 Prozent ihrer Studierenden zu finanzieren.

 

Sie stülpen als Bundesregierung den Hochschulen die komplette Organisation dieser Stipendien von A bis Z auf, von Einwerbung, Abwicklung und Ausgestaltung bis zur Vergabe. Das alles wird den Unis aufgebürdet. Deshalb wird sich Ihr Programm vor Ort als nichts anderes als ein hungriges Bürokratiemonster entpuppen, mit dem die Hochschulen vielerorts überlastet sein werden.

 

(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Würden Sie das wieder zurücknehmen?)

 

Die regionalen Unterschiede werden verstärkt. Das sieht man schon in Nordrhein-Westfalen.

 

(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Deswegen ist Herr Pinkwart auch nicht gekommen!)

 

Es liegt auf der Hand, dass Eliteunis weniger Schwierigkeiten haben, Stipendien einzuwerben, als zum Beispiel kleinere Universitäten oder Universitäten in strukturschwachen Regionen oder solche, die ein klares geisteswissenschaftliches Profil haben, statt dem MINT-Fächer-Mainstream zu folgen. Die Studierenden an diesen Universitäten sind doch nicht weniger leistungsbereit oder begabt. Das Programm bringt den Studis dort nichts. Deshalb ist es auch an dieser Stelle schlichtweg Mumpitz.

 

Die Liste lässt sich weiter verlängern, zum Beispiel um die Büchergeldstipendien der Begabtenförderungswerke. Die Stipendiaten sagen selber, dass sie die Erhöhung ihres Büchergelds um 275 Prozent ungerecht finden. Dazu haben die Stipendiaten aus den zwölf Begabtenförderungswerken eine klare Erklärung abgegeben.

 

(Patrick Meinhardt [FDP]: 10 Prozent, die politisch organisiert worden sind!)

 

Die Wirtschaft lässt sie völlig im Regen stehen. Obwohl Sie ihnen für diese Stipendienstifterei auch noch die steuerliche Absetzbarkeit zugestehen,

 

(Patrick Döring [FDP]: Kosten sind immer steuerlich absetzbar!)

 

sagen die Arbeitgeberverbände Nein; es sei nicht ihre Aufgabe, dazu einen Beitrag zu leisten.

 

Auch Ihre eigenen Landesminister lassen Sie im Regen stehen, Frau Schavan. Der schleswig-holsteinische Wissenschaftsminister von der CDU hat das Ganze als nicht bezahlbar bezeichnet und auf die unterschiedlichen Gegebenheiten der Länder hingewiesen.

 

Ich sage Ihnen voraus: Wenn sich am kommenden Sonntag die Mehrheit im Bundesrat verändert, dann ist das auch eine Chance, diesen nationalen Stipendienmurks endlich zu stoppen. Damit wäre bereits übermorgen Ihr Stipendienprogramm zum Scheitern verurteilt. Die Menschen in Nordrhein Westfalen wissen auch, dass am 9. Mai die Chance besteht, diese ungerechten Studiengebühren wieder abzuschaffen. Wir wollen die Campusmaut nicht länger, damit ein Studium nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt.

 

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

 

Es ist gut, dass die Schüler und die Studierenden im Rahmen des Bildungsstreiks gegen die sozialen Schieflagen im Bildungs- und Hochschulsystem auch in dieser Woche protestiert haben. Sie haben unsere Solidarität. Die Ergebnisse der 19. Sozialerhebung legen nahe, dass es keinen Grund zum Jubeln gibt, sondern weiterhin Grund zur Sorge. Vor allem ist ein Umdenken der Bundesregierung erforderlich, weil die soziale Selektivität erschreckend stabil ist, weiterhin Akademiker unter sich bleiben und man von sozial offenen Hochschulen schlichtweg nicht reden kann. Wir sind vielmehr weit davon entfernt. Deshalb muss die Antwort gerade auf die Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes sein, keine magere Alibinovelle zum BAföG vorzulegen, keine Elitestipendien für die Besten und Reichsten aufzulegen, sondern wirklich eine ambitionierte Reform der Studienfinanzierung in Angriff zu nehmen, bei der es darum geht, auch die unteren und mittleren Schichten mitzunehmen.

 

Daher ist unser Vorschlag die Einführung des grünen Zweisäulenmodells. Ich finde, darüber sollten wir in den nächsten Monaten weiter diskutieren und es dann auch einführen. Alle Studierenden in diesem Land sollten eine Sockelförderung in gleicher Höhe als Basisabsicherung und als starken Anreiz bekommen; mit der zweiten Säule sichern wir eine unerlässliche soziale Komponente mit einem Bedarfszuschuss. Motten Sie Ihr nationales Stipendienprogramm ein! Erhöhen Sie das BAföG sofort viel deutlicher!

 (Patrick Döring [FDP]: Wir werden es noch ausbauen!)

 Bringen Sie mit uns das Zweisäulenmodell auf den Weg! Das wäre eine bessere Studienfinanzierung als die, die Sie heute vorschlagen.

 (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kai Gehring
Mitglied des Bundestages
Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Sprecher für Jugend und Generationen
Sprecher für Hochschulfragen

Tel: 030 227-74501
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